Rundgang durch Siloé

Rundgang durch Siloé

Rundgang durch Siloé

Jetzt kann ich euch endlich von unserem Rundgang durch Siloé erzählen.  Der kleine Herr, der uns durch ein Teil seiner Comuna geführt hat stellte sich sehr herzlich und im schnellen Spanisch als David Gómez vor. Wir waren alle gespannt auf seine Führung, da seine belebende Art sofort ansteckte. Auf dem Kopf trug er einen Hut mit der Aufschrift Sil♥é.

Abb. 2: David Gómez. (Eigene Aufnahme)

Im schnellen Stechschritt und einer noch nicht ganz aufgegessenen Arepa in der Hand ging es also los in das Herz eines der 10 Stadtviertel der Comuna 20, Siloé. Er fing schnell an alles um sich herum zu erklären und uns dabei zu filmen. Er wollte die Videos als eine Art Tourismus Vlog bei YouTube hochladen und für seine Touren und seine comunidad werben. Den Link dazu findet ihr im Quellenverzeichnis. Wie gut dieses Video als Werbung in eigener Sache funktioniert weiß ich  jedoch nicht. Als ,,Zeigestock‘‘ benutzte er gerne seine äußert große Machete, was mich und viele andere etwas beunruhigte. Er erzählte uns, dass er in Siloé geboren und aufgewachsen sei und erklärte uns kurz sein Programm. Vorweg möchte ich erwähnen, dass es mir und den Kolumbianer*innen äußert schwer fiel, seinem schnellen Spanisch zu folgen. Aber in unseren Nachbesprechungen konnten wir vieles nochmal Reflektieren und unsere Notizen abgleichen. Es ist uns wichtig die Geschichte weitererzählen, die er uns von seinem Viertel erzählt hat. Die Menschen in Siloé haben pro Kopf nach David’s Erzählungen nur 11cm² öffentlichen Raum zur Verfügung.Diese Angabe deckt sich auch fast mit dem Artikel von Anna-Lena Dießelmann und Manuel Eisele, die ebenfalls eine Tour mit David durch Siloé machen durften. Durch die stetig wachsende Bevölkerung im Viertel wird der öffentliche Raum für die Bewohner*innen immer geringer. Wenn man sich diese kleine Zahl genauer durch den Kopf gehen lässt, kommt wohl jede*r eigenständig auf das Fazit, dass dadurch natürlich Konflikte bei den Bewohner*innen entstehen und der öffentliche Raum im Viertel ein sehr knappes Gut ist. Die Bewohner*innen Siloés sind vor allem Nachfahren von Geflüchteten aus der Region Viejo Caldas. Die Menschen sind damals vor dem Krieg der tausend Tage, oder auf Spanisch dem Guerra de los Mil Días geflohen. In provisorischen Häusern siedelten sich die Menschen auf den Hängen Calis an (vgl. Dießelmann 2014: 12). Siloé ist aber auch eine ,,Anlaufstelle‘‘ für viele Menschen die aus den ländlichen Regionen nach Cali kommen und dort Freund*innen und Verwandte haben.

Der Marktplatz

Abb. 3: Zwischenstop auf dem Marktplatz. (Eigene Aufnahme)


Beim gemeinsamen Gang über den Marktplatz erklärte David uns, dass die Campesinos in Kolumbien, wie auch weltweit, Opfer der Bourgeoisie seien. Die Bourgeoisie bezeichnet im Allgemeinen das wohlhabende Bürgertum oder die herrschenden sozialen Klassen der Gesellschaft, die der Klasse der Campesinos und Arbeiter*innen gegenüberstehen. Die Problematik an der Nutzung des Marktplatzes fiel schnell ins Auge. Der eigentliche Marktplatz wurde eher als Flohmarkt genutzt und bis auf einen Stand verkaufte niemand Obst oder Gemüse. Die lokalen Produkte müssen sich gegen den Weltmarkt und die großen Lebensmittelhändler*innen durchsetzen. Die meisten landwirtschaftlichen Produkte stammen aus Nordamerika oder Europa (zum Beispiel Kartoffeln aus den Niederlanden). Dadurch wird die Ernährungssouveränität Kolumbiens untergraben oder gar verhindert. Viele Marktplätze auf der ganzen Welt haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Zudem wird die bäuerliche Lebensweise durch die Monokulturen wie zum Beispiel von dem Zuckerrohr und den Sojabohnen nach und nach verdrängt. Hier gibt es aber Widerstandsbewegungen, die wir auch in Kapiteln dieses Blogs behandeln. 

Die Geschichte der Flagge
Ich habe lange überlegt, ob ich diese Geschichte aufschreiben soll. Die Geschichte von David war leider extrem schwer zu verstehen und auch die Muttersprachler*innen konnten mir den genauen Inhalt nicht genau wiedergeben. Trotzdem ist es uns wichtig, David’s Geschichten über Siloé weiterzutragen und wir versuchen unsere bestmögliche Interpretation dieser Erzählung schriftlich zu verfassen.
Über Siloé wehte zentral eine große irische Flagge. David erzählte uns, dass es ein großer Wunsch der Bewohner*innen Siloés war, eine kolumbianische Flagge in ihrem Viertel zu hissen.

Abb. 3: Die irische Flagge in Siloé. (Eigene Aufnahme)

Für den damaligen Bürgermeister der Stadt Cali waren die Bewohner*innen der Comuna jedoch nicht würdig. Er wollte das Hissen der Flagge also um jeden Preis verhindern. Kurz nach dieser Aus-einandersetzung um die kolumbianische Flagge wurde der Bürgermeister dann von einer unbekannten Gruppierung entführt. Ob diese Gruppierung in Zusammenhang mit der Comuna 20 gebracht werden kann ist jedoch nicht bekannt. Die Entführung wurde jedoch als Drohung oder Protest interpretiert. Im Endeffekt wurde dann wohl eine andere Flagge gehisst und der Bürgermeister wieder frei gelassen. Es werden immer im Wechsel Flaggen von anderen Ländern dieser Welt gehisst. Es wird erzählt, dass die unterschiedlichen Flaggen als ein Symbol für Offenheit und für den internationalen Austausch stehen. Offiziell wird das aber so nicht von der Comuna kommuniziert. Es bleiben also weitere Interpretationsmöglichkeiten.

Abb. 4: Kunst vor dem Museo Popular de Siloé. (Eigene Aufnahme)

 Das Museo Popular de Siloé

Ein weiterer Ort den wir auf unserem Rundgang besuchten durften, war das Museum der Comuna. Das Museum war recht klein, fast beengend. So richtig kann ich das Gefühl und den Geruch im Museum gar nicht beschreiben. Vielleicht vergleichbar mit Omas und Opas Kellerabteil. Für die Größe des Museums waren unglaublich viele Kunstinstallationen und Gegenstände aus dem alltäglichen Leben der Bewohner*innen aufgebaut, die sich mit der Vergangenheit und den Geschichten des Viertels auseinandersetzen.

Abb. 6: Eingang des Museums (Eigene Aufnahme)

Schuhe im Erdgeschoss: In Gedenken an die vergangenen Mingas und die Indigenen. Man soll in den Schuhen der Teilnehmer*innen laufen. Eine Minga beschreibt die gemeinschaftliche Arbeit, kollektives Handeln und auch die Demonstrationen und Mobilisierungsbewegungen der Indigenen im Departamento Valle de Cauca. Zu diesem Thema findet ihr mehr im Kapitel über die Indigenen im Cauca.

Schuhe im ersten Stock: Erinnerung an die unzähligen Kämpfe der Guerilleros. Die Schuhe stellen eine Aufforderung und Symbol zum weitermachen dar. Der Kampf ist noch nicht vorbei. Attrappen von Gewehren: El Movimiento 19 de Abril, kurz M-19, war ab 1990 eine politische Partei in Kolumbien. Auch viele Intellektuelle gehörten der Partei an. Vorher galt die M-19 als eine linke kolumbianische Guerillaorganisation. Durch unterschiedlichste soziale Aktionen war die M-19 bei den Bewohner*innen in Siloé äußerst beliebt. Die Waffen sollen an die M-19 und ihre gewaltsame Auflösung durch das Militär erinnern (vgl. Durán, Loewenherz, Hormaza 2008: 16).

Abb. 7: Kunstinstallation mit Kameras. (Eigene Aufnahme)

Kameras, Fotos und Briefe: Diese Installationen stehen für den kommunikativen Prozess mit den Menschen,  Kindern und Geschichten die erzählt werden. 

Viele Fotos zeigen vor allem auch die Geschichte des Kohleabbaus in Siloé.

Die Vermarktung und den Handel übernahmen die wohlhabenderen Bewohner*innen Calis und die, überwiegend aus dem Süden (unter anderem von Quito nach Cali), geflüchteten Menschen bauten die Kohle ab. Der Kohleabbau brachte  die Menschen auf der Suche nach Arbeit zusammen. Die Bewohner*innen Siloés konnten bis 1995 den Unterboden auf dem ihre Häuser stehen noch selber nutzen und bauten somit auch eigenständig das ,,schwarze Gold’’ ab. Ab 1995 wurde die Nutzung von Ober- und Unterboden getrennt, um genau diese Art von Bewirtschaftung zu differenzieren. Viele Minen im Viertel wurden zum Teil geschlossen, werden aber bis heute noch vereinzelt genutzt. Die Bewohner*innen schützen die Minen, um ihr geringes Einkommen dadurch zu sichern. Die innerstädtischen Minen stellen ein gravierendes Risiko dar. Dadurch werden unterirdische Wasserläufe gefördert und die Statik des Viertels gefährdet. Durch die Hanglage ist Siloé extrem erdrutschgefährdet und man geht davon aus, dass bei einem stärkeren Erdbeben ein Großteil der Häuser komplett zerstört werden würde.

Abb. 8: Fotografie von früheren Mineneingängen in der Comuna. (Eigene Aufnahme)

Der Extraktivismus ist auch hier ein Thema, welches die Bewohner*innen beschäftigt. Multinationale Großkonzerne wie wir am Beispiel der Mine El Cerrejón in der Region La Guajira erlebt haben, zerstören die Natur, verletzten Menschenrechte und vertreiben auf brutalste Weise die Bewohner*innen der Region und das oftmals im legalen Rahmen und von der Regierung gedudelt. Wenn die Bewohner*innen Siloés aber im kleinen Maße Kohle selber abbauen, werden Sie kriminalisiert (vgl. Dießelman, Eisele 2015: 17ff.).

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