Reflexion

Reflexion

Milan Bogojevic, Carla Kienel, Antonia Polheim und Hannah Siegers

Zwei Wochen lang waren wir mit einer großen Gruppe in einem Land unterwegs, welches uns viel gelehrt und viel gegeben hat. So haben wir uns nach der Exkursion mit einer Reflexion des Erlebten beschäftigt.  Gerade bei einer Exkursion ist es wichtig eine Reflexion des Erlebten mit allen Teilnehmenden anzustellen. In unserer Reflexion soll es darum gehen unser Handeln, das Erlebte und Gelernte zu analysieren und zu hinterfragen, sodass wir unser Bewusstsein über diesen Lernprozess und unsere Exkursion fördern. Des Weiteren spiegelt die Reflexion unsere Privilegien, welche mit unserer Lebensweise im Globalen Norden verknüpft sind, und unseren Umgang und Beschäftigung mit diesen Privilegien, wider. Privilegien, welche sich teilweise aus der Zeit des Kolonialismus bildeten. Deswegen ist hierbei ist der postkoloniale Kontext zu beachten. Dieser beschreibt die heutige Situation ehemals kolonisierter Staaten und kolonisierender Staaten. Außerdem wird beleuchtet, inwiefern ehemalige Kolonien tatsächlich unabhängig sind und inwieweit koloniale Strukturen auch heute noch wirksam sind. Zudem werden die eurozentrische Perspektive und der Blick auf vermeintlich rückschrittliche Kulturen beschrieben (vgl. Conrad 2012).

Abb.1: Reflexionstag in Guachaca

Unsere Erfahrungen sind nicht nur aus inhaltlicher und didaktischer Perspektive wertvoll, sondern haben uns alle sowohl persönlich als auch emotional bereichert, was bereits während zweier Reflexionstage, welche wir in Kolumbien als Teil unserer Exkursion durchführten, deutlich wurde. Doch für eine detailliertere und langfristigere Reflexion überlegten wir uns vier Fragen, welche wir allen Exkursionsteilnehmer*innen stellten. Wir ließen den Exkursionsteilnehmer*innen dabei die Wahl, auf welche Fragen sie sich beziehen möchten. Hierdurch erhofften wir uns qualitativ hochwertige Antworten, zumal wir sie anonymisierten, um möglichst authentische Reaktionen zu erhalten.

Vor der Exkursion hatten wir uns bereits anhand verschiedener Medien und über das Vorbereitungsseminar ein erstes Bild von Kolumbien gemacht. Ob und inwiefern sich die sich daraus ergebenen Erwartungen mit unseren Erfahrungen in Kolumbien überschnitten, versucht der erste Fragenblock zu ergründen:

  1. Inwieweit wurden Erwartungen bezüglich Kolumbien erfüllt? Woher kamen diese Erwartungen und Bilder? Welche Eindrücke hast du mit nach Hause genommen? Wie wirst du von deinen Erfahrungen berichten und warum? Durch welche Perspektive wurden deine Eindrücke beeinflusst?

(Hier könnt ihr auch gerne auf das Konzept des ,,Othering“ eingehen, also inwieweit vielleicht eine Abgrenzung der ,,Anderen“ stattgefunden hat, die in sich homogenisiert werden und wodurch auch eine eigene konstruierte Identität aufgebaut wird).

Zum Aspekt des Postkolonialismus kommen wir im zweiten Teil, welche unsere privilegierte Situation in Kolumbien aufgreift. Hierfür formulierten wir folgende Fragestellung:

  1. Inwieweit siehst du im Nachhinein eine Exkursion kritisch oder weniger kritisch innerhalb postkolonialer Verhältnisse? Wie bist du mit deiner privilegierten Position in Kolumbien umgegangen bzw. wie hast du diese wahrgenommen?

Neben dem akademischen Aspekt waren aufgrund der vielen eindrucksstarken Momente vor allem auch emotionale Reaktionen ein Teil der Exkursion. Um darauf weiter einzugehen, stellten wir die folgende Frage:

  1. Welches Erlebnis oder welche Begegnung hat dich am meisten beeindruckt oder berührt und warum? Was hat dich verunsichert oder irritiert und warum?

Den Entschluss einen Blog zu erstellen, fassten wir an unserem letzten Tag am Strand bei Camarones, obgleich die Idee schon länger in uns keimte. Mit der letzten Fragestellung fassen wir zusammen, wie wir diesen Blog und dessen Inhalte selbst wahrnehmen bzw. welchen persönlichen Einfluss wir aufgrund unserer Sichtweise auf das Resultat ausübten.

  1. Inwieweit ist dieser Blog Ausdruck unserer eigenen, privilegierten Position? Welche ,,Wahrheiten“ erzählt er?

1. Teil:

Die Antworten auf die erste Reflexionsfrage, die nach den Erwartungen an Kolumbien vor der Reise und dem Ursprung dieser Erwartungen und Bilder fragte, zeigten, dass vor allem das Vorbereitungsseminar und teilweise auch die Medien (beispielsweise in Form von Dokumentationen) prägende Elemente darstellten. Eine umfassendere Vorbereitung aus Eigeninitiative fand bei den wenigsten Teilnehmer*innen statt. Insbesondere sahen die Studierenden die Chance, ein Land nicht lediglich aus einer touristischen Perspektive, sondern vielmehr abseits der öffentlich zugänglichen Destinationen kennenzulernen. Einige von uns reisten mit einer gewissen Vorsicht und der Annahme, ein eher risikoreiches Land zu besuchen, nach Kolumbien.

 „Generell war mein Wissensstand über Kolumbien zuvor eher gering. Durch das Seminar erhielt man einen ersten Einblick in die Vielfältigkeit des Landes und die vielschichtigen Konflikte, die leider in Kolumbien vorherrschen. Mit der Erwartung, diese im Laufe der Exkursion womöglich besser verstehen und durchdringen zu können und mit einem geschärften Blick durch das Land zu reisen, bin ich in die Exkursion gestartet.“

 Aus dem familiären Umfeld sind zudem teilweise Warnungen ausgesprochen worden.

 „Du willst in das Land der Drogen, in dem es so viele Konflikte gibt?“

Dennoch waren eigene Vorannahmen nicht immer unbegründet. Denn während die persönliche Freiheit in Deutschland relativ groß ist, sah dies in Kolumbien teilweise anders aus. Polizisten*innen und Sicherheitsbeauftragte waren in Bogotá sehr häufig anzutreffen. Ausgestattet mit Maschinenpistolen vermittelten uns diese eine Art Unbehagen. Diese Art von „Schutz“ bot uns jedoch ein erhöhtes Sicherheitsgefühl.

“Auch wenn ein zweiwöchiger Aufenthalt wohl nicht ausreicht, um die Sicherheit in dem Land ausreichend bewerten zu können, kann ich trotzdem sagen, dass ich mich vor allem in Bogotá aufgrund der bewaffneten Polizisten an praktisch jeder Kreuzung sehr sicher gefühlt habe.”

Ein weiterer Faktor, welcher beständig erwähnt wurde, war die Offenheit, mit welcher wir in Kolumbien empfangen wurden. Viele nahmen an, dass eine so große Gruppe in gewisser Weise als störend aufgefasst werden könnte. Dem war nicht so. Überall wurden wir herzlich empfangen und man hat sich immer sehr aufmerksam um uns gekümmert.

 „Außerdem dachte ich, dass die Kolumbianer*innen möglicherweise von Tourist*innen im eigenen Land genervt sind und so auch von 30 Student*innen aus Deutschland. Deshalb hat mich die Herzlichkeit, mit der wir überall empfangen wurden, überwältigt. Ich hatte das Gefühl, dass sich die Personen, die wir trafen, über unser Interesse gefreut haben. Häufig wurde für uns (also für über 30 Personen!!!) gekocht.“

Neben den von uns gesammelten Eindrücken ging es jedoch auch um das sogenannte „Othering“. Dieser Begriff stammt aus den postkolonialen Theorien und beschreibt die permanente Grenzziehung zwischen einem selbst und „den Anderen“. Der Blick wird dabei auf eben diese andere Gruppe gerichtet (vgl. Riegel 2018). Dies geschah insofern, dass wir aus dem Bus heraus die Geschehnisse von draußen betrachten konnten. Wir beobachteten die Lebensweise der anderen und schätzten unser privilegiertes Leben in der Heimat. Während unsere Besuche für die besuchten Personen einen Einschnitt in ihren Alltag darstellten, waren diese Begegnungen für uns ein Halt nach dem anderen.

„Wir haben einen Großteil unserer Zeit in einem sehr bequemen, schicken Bus mit Fensterverdunkelung verbracht. Wie Touristen sind wir durch ein Land gefahren, haben es beobachtet und sind selber hinter einer Glasscheibe verschwunden. Diese Perspektive von oben herab hat auf jeden Fall unseren Eindruck beeinflusst.“

Dass zwei Wochen jedoch nicht ausreichend sind, um ein Land in seiner ganzen Fülle kennenzulernen, war uns bereits im Vorhinein klar. Um Eindrücke zu verinnerlichen und sich auf den nächsten Tag sowie Programmpunkt vorzubereiten, sind eben mehr als sechs Stunden Schlaf erforderlich. An diesen Stellen bleiben der Erholungsnachmittag und die zwei Reflexionstage jedoch nicht unerwähnt. Diese nutzten wir, um das Erlebte zu verarbeiten, individuelle Eindrücke auszutauschen und offene Fragen zu klären.

„Dass es eine anstrengende Erfahrung werden würde, war mir im Vorhinein bewusst, jedoch merkte ich nach der Exkursion, wie schlapp ich einfach war. Ich denke etwas weniger Programm pro Tag hätte die Qualität verbessert.“

2. Teil

Eine weitere Frage beschäftigte sich damit, inwieweit wir unsere Exkursion im Nachhinein kritisch oder weniger kritisch in Bezug auf postkoloniale Verhältnisse sehen. Die Meinungen innerhalb unserer Gruppe waren zu diesem Thema recht eindeutig: Viele sehen die Exkursion, oder solche Reisen im Allgemeinen, als kritisch, da sie koloniale Strukturen aufweisen. Außerdem sollten wir uns immer fragen, wer einen Nutzen aus dieser Exkursion zieht und warum es notwendig war sie zu machen. Hier sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir selbst darauf keine eindeutige Antwort geben können. Negativ bewertet wurden vor allem die kurzen Aufenthalte bei den Menschen, welche wir besucht haben. Diese Begegnungen ließen das Gefühl aufkommen, dass wir mehr genommen als gegeben haben und hatten zur Folge, dass wir, obwohl wir es gar nicht bewusst wollten, uns von denen, die wir besuchten, abgrenzten.

„Oft hatte ich das Gefühl wir haben vieles nur ,,abgefrühstückt‘‘, um möglichst viel mitzunehmen. Insofern hatte ich immer das Gefühl, wir kamen mit unserem riesigen, weißen Ungetüm von Bus, sind für ein paar Stunden geblieben und haben uns (meiner Meinung nach) gar nicht richtig auf die Geschichten und Umstände einlassen können.“

„Wir sind stets in unserem klimatisierten Reisebus zu einem neuen Ort gekommen, oft sogar mit verdunkelten Scheiben, sodass wir alles außerhalb des Busses beobachten, die Leute von draußen uns allerdings nicht sehen konnten. Dann stiegen wir aus, setzten uns vor die Menschen und schrieben eifrig mit, während diese uns von ihrem Leid berichteten. Danach ging es auch meistens schnurstracks zurück in den Bus und entweder zum nächsten Halt oder zurück zur Unterkunft.“

Viele der Teilnehmer*innen fühlten sich machtlos in ihrem Handeln, weil sie den Menschen gerne mehr hätten zurückgeben wollen als sie wirklich konnten.

„Führt so eine Exkursion trotz all der kritischen Reflexionen nicht letztendlich doch dazu, Vorstellungen von uns und „den Anderen“, von „Entwicklung“ und „Unterentwicklung“, von „1. Welt“ und „3. Welt“ zu (re)produzieren?“

Neben der Kritik wurde erwähnt, dass wir aufgrund der Vorbereitung durch unsere Dozent*innen ein besseres Bewusstsein für die Situation in Kolumbien während unseres Aufenthalts entwickelt haben. Wir erfuhren das Land auf eine sehr spannende und interessante Art und besuchten keine typischen Touristengegenden. Unser Fokus lag auf dem Austausch mit den Studierenden und den Treffen mit verschiedenen Menschen aus verschiedenen Kulturen. Diese haben viele Problematiken für uns verständlicher gemacht. Aus diesem Grund − und zusätzlich wegen der beiden Reflexionstage in Kolumbien − war die Exkursion für uns persönlich sehr wertvoll, da wir in der Gruppe das Erlebte sehr kritisch hinterfragten. Neben der Frage nach postkolonialen Strukturen möchten wir mitunter reflektieren, in welcher Form uns unsere Privilegien als Europäer*innen bewusst geworden und wie wir damit umgegangen sind. Eine häufig genannte Antwort zielte auf unseren Reisebus. Viele haben sich unwohl gefühlt, im Bus hinter abgedunkelten Scheiben nach draußen zu sehen und von den anderen Menschen nicht gesehen werden zu können.

 „Der Bus hat für mich unsere Privilegien dargestellt: Von außen auf etwas schauen, ohne gesehen zu werden, Klimaanlage, „bequeme“ Unterkunft, funktionierende Toiletten.“

„Ich verspürte besonders während der Reise im Reisebus häufig ein unwohles Gefühl, wenn wir mit dem dicken Bus über die teils unbefestigten Straßen durch die Dörfer fuhren.“

Auch die Tatsache, dass wir finanziell vom deutschen Staat unterstützt wurden, damit wir diese Exkursion antreten konnten, haben viele als großes Privileg empfunden. Um die Exkursion für beide Seiten gleich gestalten zu können, wäre es aus unserer Sicht der richtige Weg, die kolumbianischen Studierenden zu uns nach Deutschland einzuladen. Ob dies allerdings realisiert werden kann, bleibt bisher ungeklärt. Somit profitieren in erster Linie nur wir von der Exkursion. Zusätzlich steht die Frage im Raum,

„[inwiefern] wir durch die Flugreise nicht zum weltweiten Klimawandel beitragen, bei dem in erster Linie vor allem Menschen in Ländern des Globalen Südens die Leidtragenden sind?“

Viele waren sich auch in ihrem Auftreten und ihrer Handlungsweise unsicher, da sie die Rolle als „Europäer*in“ nicht offensichtlich einnehmen wollten. Dies zeigte sich vor allem in der Zurückhaltung beim Sprechen oder beim Stellen von Fragen.

„Teilweise musste ich feststellen, dass ich befürchtete, durch unsere privilegierte Position mich womöglich falsch verhalten zu können oder zu wenig reflektiert damit aufzutreten. Dies hat bei mir in manchen Situationen zu einer verstärkten Zurückhaltung geführt, in denen ich versucht habe, unser Handeln auf einer gewissen Ebene zu betrachten und zu reflektieren.“

Durch einige emotionale Begegnungen ist vielen bewusst geworden, wie privilegiert unser Leben in Deutschland ist und wie die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, mit ihren Problemen in Kolumbien umgehen. Allerdings gab es auch in Gesprächen untereinander Wortmeldungen dazu, dass wir im Grunde nichts dafür können, wo wir geboren wurden, und dass unsere Privilegien teilweise situationsbedingt sind. Dabei wurde darauf aufmerksam gemacht, dass wir uns unsere Position, unser Handeln und den Grund der Reise stets bewusst machen müssen.

Ich finde es wichtig, sich seiner „Position“ in der Gesellschaft bewusst zu sein und auf Grund dieser, seiner Möglichkeiten nach so zu handeln, dass es weitestgehend für Mensch, Natur etc. vertretbar ist“.

Auf Grund des Erlebten ist uns ebenfalls bewusst geworden, dass wir die Möglichkeit besitzen, unsere Erlebnisse zu veröffentlichen und keine Angst vor Konsequenzen haben müssen. Die freie Meinungsäußerung ist in Kolumbien nicht immer im gleichen Maße möglich wie wir es aus Deutschland kennen. Deswegen versuchen wir mit diesem Blog auf das, was wir erlebt haben, aufmerksam zu machen und die Menschen, die wir getroffen haben, mit unseren Möglichkeiten zu unterstützen.

3. Teil:

Darüber hinaus beschäftigten wir uns im Zuge der Nachbereitung der Exkursionsinhalte mit der Frage, welches Erlebnis bzw. welche Begegnung uns am meisten beeindruckte oder berührte sowie eventuell verunsicherte und irritierte.  Viele wollten sich bei der Beantwortung der Frage nicht auf ein konkretes Erlebnis festlegen, da es die Summe der Erfahrungen und vielen verschiedenen Begegnungen waren, die beeindruckten und in Erinnerung bleiben werden. Die meisten Studierenden sprachen in diesem Zusammenhang jedoch von der Minga, die wir im Cauca besuchen durften. Die von den Angehörigen ausgehende Energie sowie das starke Gemeinschaftsgefühl der Menschen, die sich gemeinsam zum friedlichen Protest versammelt hatten, berührte unsere Gruppe sehr.

„Diese Begegnung mit diesem jungen Menschen hat mich für Tage beeindruckt […]. Die vibrierende Stimmung in dem Camp der Mobilisierten zwischen Aufregung, Ausgelassenheit und Spannung hat mich fasziniert und irritiert“.

Die friedliche Atmosphäre während unseres Besuchs der Minga und die nach einigen Tagen eskalierende Situation aufgrund des gewaltvollen Eingriffs der Sicherheitskräfte verdeutlichte das Spannungsverhältnis, in dem sich die an dem Protest teilnehmenden Menschen befanden und verdeutlichte die existenzielle Bedrohung, die sie vor Ort weiterhin zu befürchten haben.

„[Die] Stimmung, die an dem Tag [unseres Besuchs] sowohl friedlich wirkte als auch ein Flimmern von Spannung [und] unterschwelligem Konflikt in sich trug, [entlud sich in den darauffolgenden Tagen], als wir schon längst weitergefahren waren.“

Neben der Minga wurde auch der Nachmittag in Roche in der Region La Guajira hervorgehoben. Die Fahrt dorthin, geprägt von dem Lehrer*innenstreik und den Straßensperren, beschrieben viele von uns als abenteuerlich, da wir zur Überwindung der Blockaden unter anderem spontan auf private Fahrzeuge umsteigen mussten. Eine der Straßensperren, die aus Ästen und Baumresten bestand, überquerten wir zu Fuß, um zu einer Stelle zu gelangen, von der aus wir wieder auf Autos umsteigen konnten.

„Die am Straßenrand im Schatten sitzenden Menschen beobachteten uns. Ich war unsicher, was sie davon hielten, dass wir als so große Gruppe einfach über ihre Sperren hinweg unseren Weg fortsetzten. Der Moment, indem wir spontan zu klatschen begannen und die Menschen drumherum einstimmten, berührte mich daher sehr. Ich hatte das Gefühl, wir konnten ihnen so zeigen, dass wir auf ihrer Seite waren und ihnen unsere Anerkennung und Bewunderung für den Protest aussprechen“.

Am selben Tag kamen wir abends in Roche an und wurden von einigen Bewohner*innen empfangen. Ein Mann zeigte uns sein Haus, das aufgrund der schlechten Bodenbeschaffenheit unbewohnbar war und erzählte von gravierenden Folgen der Umsiedlung für die Gemeinde. Ebenso wie bei den Nasa war der andauernde Landkonflikt dort sehr spür- und sichtbar. Dennoch schien sich die Situation in Roche von der im Cauca bei den Indigenen zu unterscheiden.

„Während bei den Nasa von Befreiung und Kampf gegen die Großgrundbesitzer gesprochen wurde, hatte ich in Roche das Gefühl, die Menschen sind den mächtigen Strukturen der Unternehmen und deren staatlichen Verbindung macht- und widerstandslos ausgesetzt. Ihre Situation wirkte trotz der den Nasa immer wieder drohenden Gefahren aufgrund des Paramilitärs aussichtsloser“.

Sich vor Ort mit den Auswirkungen der Kohlemine und der damit verbundenen Umsiedlung der betroffenen Gemeinden auseinanderzusetzen, stand generell in keinem Vergleich zu der in Deutschland im Vorfeld getroffenen Vorbereitung.

Der in diesem Zusammenhang ebenfalls stattgefundene Besuch der Kohlemine sowie die Zeit bei den Wayuu in Tamaquito 2 führten uns das Ausmaß des Machteinflusses des multinationalen Konzerns unmittelbar vor Augen. Die Besichtigung des Steinkohletageabbaus El Cerrejón löste aufgrund des unbegreiflichen Ausmaßes der Zerstörung und Eingriffes in die Natur und in das Leben der umliegenden Menschen bedrückende Emotionen aus:

„Die Grube zu sehen, war für mich besonders schockierend, weil mir bewusst war, dass die in Kolumbien geförderte Kohle fast vollständig exportiert wird, unter anderem nach Deutschland. Es greifen also nicht Menschen generell in die Natur ein, sondern vor allem Menschen aus Konsumgesellschaften des globalen Nordens“.

Der am vorherigen Tag stattgefundene Besuch in Roche beeinflusste unsere persönliche Einstellung und Sichtweise während der Besichtigung der Mine und führte daher ebenso zu Verunsicherung.

„Nachdem wir in Roche die Geschichte der Bewohner erfahren haben, war es sehr schwierig unvoreingenommen die Mine besuchen zu können. Das hat es erschwert, mit den Informationen, die wir dort erhalten haben, objektiv umzugehen. Im Nachhinein hat mich noch länger der Gedanke beschäftigt, wie subjektiv geprägt die Informationen in den Erzählungen auf unserer Exkursion waren“.

Einige Studierende berichten im Nachhinein von ähnlichen Gedanken während des Besuchs des FARC-Camps in La Elvira. Das vorherige Wissen und die bekannten negativen Vorurteile, erschwerten eine unvoreingenommene Sichtweise im Gespräch mit den FARC-Mitgliedern.

„Anders als bei den Indigenen oder afrokolumbianischen Gemeinden, hinterfragte ich sehr viel mehr von dem Gesagten, da ich wusste, dass die FARC aktiv in dem bewaffneten Geschehen involviert war.“

Unabhängig von einzelnen konkreten Erlebnissen verunsicherte viele Studierende, dass die Menschen, denen wir während unserer Reise begegneten, auch gewisse Erwartungen an uns zu haben schienen, denen wir jedoch nicht gerecht werden konnten. So beispielsweise während des Besuchs in Roche, als der Mann mit dem unbewohnbaren Haus annahm, wir würden Bodenproben nehmen und diese analysieren.

„In dem Moment habe ich mich fehl am Platz gefühlt, da wir lediglich zur Beobachtung dort waren. Helfen konnten wir nicht.“

Ähnlich erging es einigen bei der Verabschiedung im FARC-Camp als die

„Mitglieder des Demobilisierungscamps der FARC, […] uns nach dem Treffen als Verbündete verabschiedeten, obwohl viele unserer Exkursionsgruppe sich auch nach dem Treffen nicht mit einigen Grundsätzen der FARC identifizieren konnten“.

Zusammenfassend fiel es bei dieser Frage schwer, sich auf einzelne Erlebnisse festzulegen. Vor allem zeigt sich, dass die unterschiedliche Wahrnehmung der Studierenden zu entsprechend verschiedenen Ergebnissen führte. Mehrmals hervorgehoben wurden hierbei jedoch die Minga und der Besuch in Roche. Abschließend lässt sich festhalten, dass viele Studierende Situationen beschrieben, die sie oftmals beeindruckten und zugleich verunsicherten oder irritierten. Beide Emotionen bzw. Reaktionen traten also sehr häufig in Verbindung miteinander auf, weswegen sie vermutlich besonders lange in Erinnerung bleiben und zum Nachdenken anregen werden.

 4. Teil:

Auch haben wir uns mit der Frage beschäftigt, inwieweit dieser Blog Ausdruck unserer eigenen, privilegierten Position ist, und welche ,,Wahrheiten‘‘ am Ende erzählt werden. Auch hier ist es schwierig zu zusammenfassenden Ergebnissen zu gelangen, da wir als Gruppe alle unterschiedliche Wahrnehmungen zu unserer Positionalität und deren Auswirkungen haben. Viele von uns sind allerdings der Meinung, dass der Blog, wie auch schon die Exkursion, unsere privilegierte Position widerspiegelt.

„Der Blog ist ein Ausdruck unserer privilegierten Position, aus einem „sicheren Hier“ über ein anderes „Dort“ zu erzählen, ohne dass wir dafür mit Morddrohungen o.ä. rechnen müssen. Wir haben das Privileg, uns auch mit ziemlich krassen Situationen der Unterdrückung und Vertreibung, aber auch mit dem Widerstand und der Selbstermächtigung in Kolumbien auseinandersetzen zu können, können dann aber auch wieder in unseren Alltag in Hamburg abtauchen und dies so langsam wieder vergessen.“

Auch kann der Blog postkoloniale Zusammenhänge reproduzieren: Als weiße Europäer*innen waren wir auf Exkursion in Kolumbien. Jetzt sind wir wieder in Hamburg und schreiben und berichten von dem, was wir in Kolumbien erlebt und erfahren haben. Für einige von uns stellt dies eine Bereicherung dar. Trotzdem haben wir uns dazu entschieden, einen Blog zu veröffentlichen. Einerseits ist dieser eine Chance, die eigenen Privilegien und die Positionalität zu erkennen und aufzuarbeiten. Andererseits haben wir verschiedene Gemeinschaften besucht, die uns darum gebeten haben, ihre Geschichten zu veröffentlichen und zu verbreiten, in der Hoffnung, dass sich dadurch etwas ändern kann.
Der Blog soll also eine eigene Aufarbeitung der Privilegien und Positionalität darstellen, wie auch das Erlebte wiedergeben. Trotzdem waren wir uns während des Prozesses immer wieder unsicher, inwieweit wir dem Anspruch gerecht werden können, die Inhalte reflektiert und den Intentionen der Gemeinschaften entsprechend, wiederzugeben:

„Auf der anderen Seite stelle ich mir in Bezug auf die herrschenden postkolonialen Verhältnisse die Frage, warum wir überhaupt das Recht haben über Konflikte und Auseinandersetzungen in Kolumbien zu berichten. Sie sind alle in sich sehr komplex und für Außenstehende schwer zu begreifen. Kann dieser Blog diesen überhaupt gerecht werden?‘‘

Die Komplexität der Auseinandersetzungen in Kolumbien wurde uns schon im Vorbereitungsseminar bewusst. Dies hängt für uns mit der Frage zusammen, inwieweit wir in den zwei Wochen der Exkursion überhaupt einen ,,richtigen‘‘ Einblick in verschiedene Zusammenhänge erfahren konnten. Welche ,,Wahrheiten‘‘ wir also erlebt oder durch unsere eigene Positionalität wahrgenommen haben und welche ,,Wahrheiten‘‘ dieser Blog dadurch erzählt. Vorbeeinflusst ist die Wahl der Themen und Orte, die wir besucht haben, natürlich von unseren Dozierenden, wie auch der eigenen Schwerpunktsetzung innerhalb der Themen.

„Diese Themenauswahl und Vorbereitung beeinflussten unsere Denk- und Sichtweisen und sehr wahrscheinlich nun auch die Ausgestaltung und Realisierung dieses Blogs.‘‘

Zusätzlich haben sicherlich auch die Zusammenarbeit und die Dynamik innerhalb unserer Gruppe die Exkursion, deren Umsetzung und die daraus resultierenden Erfahrungen und Wahrnehmungen beeinflusst.

„Eine andere Gruppe, eine andere Exkursionsleitung oder Schwerpunktsetzung hätte einen gänzlich anderen Blog erschaffen, wenn nicht irgendetwas anderes.‘‘

Die Beiträge dieses Blogs werden durch unsere eigene Sichtweise, Positionalität und Privilegien beeinflusst. Auch beinhalten die Beiträge immer unsere eigene Wahrnehmung der Situation.

„Es kann natürlich keine Objektivität erreicht werden. Wenn wir versuchen, bestimmte Situationen, Erlebnisse oder Gespräche in den verschiedenen Kapiteln des Blogs wiederzugeben, enthalten unsere Beschreibungen immer unsere eigene Positionalität, da diese beeinflusst, wie wir Situationen aufnehmen. Das ändert sich auch nicht, wenn wir unsere Aussagen durch Literaturverweise „belegen“. Diese legitimieren uns keine „wissenschaftliche Subjektivität“, sondern sollen eher weitere Perspektiven von verschiedenen Personen ins Spiel bringen, die alle eine eigene Wahrheit haben.‘‘

„Wir sollten nicht den Anspruch eines Wahrheitsgehaltes haben, den wir nicht leisten können. Ja, wir belegen unsere Aussagen mit Studien und zitieren Wissenschaftler*innen, dieser Ansatz ist ein akademisierter Standard, den wir so erlernt haben.‘‘

 Schließlich entscheiden wir in diesem Blog auch darüber, welche Beachtung wir verschiedenen angesprochenen Themen und Aussagen schenken.

„Wir können aussuchen, welche Aspekte wir für erörterungswürdig halten und welche nicht. Welche finden Betracht in unserem Blog und welche nicht. Wir üben eine krasse Deutungshoheit und Macht über unsere Gespräche in Kolumbien aus, da wir beurteilen was wichtig ist und was nicht, obwohl wir das doch gar nicht wirklich wissen können.‘‘

Die Deutungsmacht, die Ressourcen, diesen Blog überhaupt gestalten und unsere Meinung offen verbreiten zu können, empfinden wir als weiteren Ausdruck unserer Privilegien.

„Daher erzählt der Blog auch gleichzeitig von den Wahrheiten der Privilegien, mit der Hoffnung, dass Menschen diesen Blog auch reflektiert lesen.‘‘

,,Gleichzeitig ist der Blog aber auch Ausdruck davon, mit diesen Privilegien umzugehen, ein Stück Verantwortung zu übernehmen – und sei es nur dadurch, dass wir von unseren Eindrücken berichten, dass wir die Menschen, die wir getroffen haben, zu Wort kommen lassen, dass wir auch etwas zurückgeben, indem wir die Einträge auf Spanisch übersetzen und dies auch den Menschen zugänglich machen, unsere Eindrücke und Gedanken mit ihnen teilen. Es ist ein kleiner Beitrag – und doch nicht unwichtig…’’

Fazit:

Am Ende unserer Exkursion und nach der Erarbeitung des Blogs konnten wir feststellen, dass uns die Reise nach Kolumbien in unterschiedlicher Art und Weise zum Nachdenken gebracht hat. Eine Exkursion ist fester Bestandteil unseres Studiums. Eine Vorauswahl treffen unsere Dozent*innen und im Anschluss sucht sich jede*r ein Ziel entsprechend eigener Interessen aus. Wir sind teilweise an unsere körperlichen Grenzen gestoßen, nicht nur durch die warmen Temperaturen und die Höhe, auch durch die langen Tage und kurzen Nächte und die intensiven Gespräche auf Deutsch und Spanisch. Dennoch haben wir viele Eindrücke mitgenommen und diese in Gesprächen miteinander aufgearbeitet, wobei auch einige kritische Meinungen zu unseren Erlebnissen geäußert wurden. Unsere Gruppe hat sich in verschiedenen Formen mit den Geschehnissen in Kolumbien auseinandergesetzt, was nicht zuletzt auch an unseren Dozent*innen lag. Wie bereits zu Beginn erwähnt, möchten wir nochmals darauf hinweisen, dass das Wiedergegebene nur ein Ausschnitt aus unserem Erlebten ist, und wir Kolumbien aus einer humangeographischen Sichtweise betrachtet haben. Wir haben das Land auf eine vielfältige Art und Weise kennengelernt und versucht, die Geschichten der Menschen so gut wie möglich mit anderen zu teilen. Dabei bemühten wir uns, die Beiträge mit möglichst vielen weiterführende Links und Texten zu den verschiedenen Themen zu verknüpfen, um andere Perspektiven und Wahrheiten hörbar zu machen. Sicher gibt es im Nachhinein einige Punkte, die hätten besser gemacht werden können, aber diese Erfahrung hilft, zukünftige Exkursionen bewusster zu gestalten. Wir hoffen, dass wir mit diesem Blog unsere Erlebnisse nachvollziehbar darstellen und unsere Position zu dem Erlebten anhand der vier Reflexionsfragen verdeutlichen können. Außerdem wünschen wir uns, dass wir mit unseren Bildern und Videos sowie den weiterführenden Quellen Interesse wecken, und dass der Blog sich weit verbreitet und etwas Aufmerksamkeit erregt.  Zum Schluss möchten wir uns nochmals bei allen Beteiligten ganz herzlich für die Gastfreundschaft und die Einblicke in das Land bedanken. Auch die gemeinsame Reise und der Austausch mit den kolumbianischen Studierenden haben viel zu unserem Verständnis über das Land beigetragen. Ohne die Zusammenarbeit unserer Dozenten*innen mit der Universidad Externado in Bogotá wären viele Begegnungen nicht möglich gewesen.

Abbildung 1: Gruppenbild der deutschen und kolumbianischen Studierenden während des Besuchs an der Universidad Externado in Bogotá

Estudiantes de la Universidad de Hamburgo visitan el Externado

Literaturverzeichnis