Cali

Cali

Cali

Jannick Jaschkowski, Francis Wernecke

Abb. 1: Gruppenbild auf den Hängen Siloés. (Eigene Aufnahme)

Seitdem feststeht, dass wir zusammen einen Blog über unsere Exkursion nach Kolumbien schreiben, habe ich mich gedanklich immer wieder mit unserem Kapitel über Cali auseinandergesetzt. Ich musste des Öfteren innerlich schmunzeln und an diesen anstrengenden aber auch schönen Tag zurückdenken. Außerdem fand ich es von Tag zu Tag schwieriger, einen ,,angemessenen‘‘ Blogeintrag über Cali zu schreiben. Man möchte diese Zeit ja nicht nur auf ein Kapitel in unserem Blog reduzieren. Vieles habe ich ja auch nur in flüchtigen Momenten erlebt, gefühlt, festgehalten und dabei versucht, mir gute Notizen, auf die ich aufbauen kann, zu machen. Die vielen Eindrücke und Gefühle unserer Exkursion und von dem ganzen Tag in Cali entstammen einer diversen Welt mit unterschiedlichsten Interpretationsmöglichkeiten für jede*n einzelnen. Deswegen habe ich es auch immer und immer wieder aufgeschoben. Und jetzt sitze ich hier und versuche den Tag und die verwirrende Geschichte zu Cali und unserem Gang durch das Stadtviertel Siloé der Comuna 20 ,,auf Papier‘‘ zu bringen.

Cali kurz vorgestellt

Um zumindest allgemein anzufangen, möchte ich die Hauptstadt des kolumbianischen Departamento Valle de Cauca einmal vorstellen. Santiago de Cali liegt im kolumbianischen Kontext südwestlich und dabei äquatornah inmitten der Ost- und Westkordillere der Anden auf 1.000 Meter über dem Meeresspiegel. In Cali trifft der Río Cali auf den Río Cauca und wurde aus kolonialistischer Perspektive 1536 von den spanischen Konquistadoren ,,gegründet’’. Die Stadt wird häufig als Hauptstadt des Salsas genannt, aber auch in Zusammenhang mit Drogenkartellen und Gewalt gebracht. Auf dem Weg in die Stadt durchquerten wir  die unendlichen scheinenden Monokulturen des Zuckerrohrs. Das Thema Zuckerrohr im Valle de Cauca wird jedoch noch im 3. Kapitel genauer behandelt.

Rundgang durch Siloé

Jetzt kann ich euch endlich von unserem Rundgang durch Siloé erzählen.  Der kleine Herr, der uns durch ein Teil seiner Comuna geführt hat stellte sich sehr herzlich und im schnellen Spanisch als David Gómez vor. Wir waren alle gespannt auf seine Führung, da seine belebende Art sofort ansteckte. Auf dem Kopf trug er einen Hut mit der Aufschrift Sil♥é.

Abb. 2: David Gómez. (Eigene Aufnahme)

Im schnellen Stechschritt und einer noch nicht ganz aufgegessenen Arepa in der Hand ging es also los in das Herz eines der 10 Stadtviertel der Comuna 20, Siloé. Er fing schnell an alles um sich herum zu erklären und uns dabei zu filmen. Er wollte die Videos als eine Art Tourismus Vlog bei YouTube hochladen und für seine Touren und seine comunidad werben. Den Link dazu findet ihr im Quellenverzeichnis. Wie gut dieses Video als Werbung in eigener Sache funktioniert weiß ich  jedoch nicht. Als ,,Zeigestock‘‘ benutzte er gerne seine äußert große Machete, was mich und viele andere etwas beunruhigte. Er erzählte uns, dass er in Siloé geboren und aufgewachsen sei und erklärte uns kurz sein Programm. Vorweg möchte ich erwähnen, dass es mir und den Kolumbianer*innen äußert schwer fiel, seinem schnellen Spanisch zu folgen. Aber in unseren Nachbesprechungen konnten wir vieles nochmal Reflektieren und unsere Notizen abgleichen. Es ist uns wichtig die Geschichte weitererzählen, die er uns von seinem Viertel erzählt hat. Die Menschen in Siloé haben pro Kopf nach David’s Erzählungen nur 11cm² öffentlichen Raum zur Verfügung. Diese Angabe deckt sich auch fast mit dem Artikel von Anna-Lena Dießelmann und Manuel Eisele, die ebenfalls eine Tour mit David durch Siloé machen durften. Durch die stetig wachsende Bevölkerung im Viertel wird der öffentliche Raum für die Bewohner*innen immer geringer. Wenn man sich diese kleine Zahl genauer durch den Kopf gehen lässt, kommt wohl jede*r eigenständig auf das Fazit, dass dadurch natürlich Konflikte bei den Bewohner*innen entstehen und der öffentliche Raum im Viertel ein sehr knappes Gut ist. Die Bewohner*innen Siloés sind vor allem Nachfahren von Geflüchteten aus der Region Viejo Caldas. Die Menschen sind damals vor dem Krieg der tausend Tage, oder auf Spanisch dem Guerra de los Mil Días geflohen. In provisorischen Häusern siedelten sich die Menschen auf den Hängen Calis an (vgl. Dießelmann 2014: 12). Siloé ist aber auch eine ,,Anlaufstelle‘‘ für viele Menschen die aus den ländlichen Regionen nach Cali kommen und dort Freund*innen und Verwandte haben.

Der Marktplatz

Abb. 3: Zwischenstop auf dem Marktplatz. (Eigene Aufnahme)

Beim gemeinsamen Gang über den Marktplatz erklärte David uns, dass die Campesinos in Kolumbien, wie auch weltweit, Opfer der Bourgeoisie seien. Die Bourgeoisie bezeichnet im Allgemeinen das wohlhabende Bürgertum oder die herrschenden sozialen Klassen der Gesellschaft, die der Klasse der Campesinos und Arbeiter*innen gegenüberstehen. Die Problematik an der Nutzung des Marktplatzes fiel schnell ins Auge. Der eigentliche Marktplatz wurde eher als Flohmarkt genutzt und bis auf einen Stand verkaufte niemand Obst oder Gemüse. Die lokalen Produkte müssen sich gegen den Weltmarkt und die großen Lebensmittelhändler*innen durchsetzen. Die meisten landwirtschaftlichen Produkte stammen aus Nordamerika oder Europa (zum Beispiel Kartoffeln aus den Niederlanden). Dadurch wird die Ernährungssouveränität Kolumbiens untergraben oder gar verhindert. Viele Marktplätze auf der ganzen Welt haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Zudem wird die bäuerliche Lebensweise durch die Monokulturen wie zum Beispiel von dem Zuckerrohr und den Sojabohnen nach und nach verdrängt. Hier gibt es aber Widerstandsbewegungen, die wir auch in Kapiteln dieses Blogs behandeln. 

Die Geschichte der Flagge

Ich habe lange überlegt, ob ich diese Geschichte aufschreiben soll. Die Geschichte von David war leider extrem schwer zu verstehen und auch die Muttersprachler*innen konnten mir den genauen Inhalt nicht genau wiedergeben. Trotzdem ist es uns wichtig, David’s Geschichten über Siloé weiterzutragen und wir versuchen unsere bestmögliche Interpretation dieser Erzählung schriftlich zu verfassen.
Über Siloé wehte zentral eine große irische Flagge. David erzählte uns, dass es ein großer Wunsch der Bewohner*innen Siloés war, eine kolumbianische Flagge in ihrem Viertel zu hissen.

Abb. 4: Die irische Flagge in Siloé. (Eigene Aufnahme)

Für den damaligen Bürgermeister der Stadt Cali waren die Bewohner*innen der Comuna jedoch nicht würdig. Er wollte das Hissen der Flagge also um jeden Preis verhindern. Kurz nach dieser Auseinandersetzung um die kolumbianische Flagge wurde der Bürgermeister dann von einer unbekannten Gruppierung entführt. Ob diese Gruppierung in Zusammenhang mit der Comuna 20 gebracht werden kann ist jedoch nicht bekannt. Die Entführung wurde jedoch als Drohung oder Protest interpretiert. Im Endeffekt wurde dann wohl eine andere Flagge gehisst und der Bürgermeister wieder frei gelassen. Es werden immer im Wechsel Flaggen von anderen Ländern dieser Welt gehisst. Es wird erzählt, dass die unterschiedlichen Flaggen als ein Symbol für Offenheit und für den internationalen Austausch stehen. Offiziell wird das aber so nicht von der Comuna kommuniziert. Es bleiben also weitere Interpretationsmöglichkeiten.

Das Museo Popular de Siloé

Abb. 5: Kunst vor dem Museo Popular de Siloé. (Eigene Aufnahme)
Abb. 6: Eingang des Museums. (Eigene Aufnahme)

Ein weiterer Ort den wir auf unserem Rundgang besuchten durften, war das Museum der Comuna. Das Museum war recht klein, fast beengend. So richtig kann ich das Gefühl und den Geruch im Museum gar nicht beschreiben. Vielleicht vergleichbar mit Omas und Opas Kellerabteil. Für die Größe des Museums waren unglaublich viele Kunstinstallationen und Gegenstände aus dem alltäglichen Leben der Bewohner*innen aufgebaut, die sich mit der Vergangenheit und den Geschichten des Viertels auseinandersetzen.

Schuhe im Erdgeschoss: In Gedenken an die vergangenen Mingas und die Indigenen. Man soll in den Schuhen der Teilnehmer*innen laufen. Eine Minga beschreibt die gemeinschaftliche Arbeit, kollektives Handeln und auch die Demonstrationen und Mobilisierungsbewegungen der Indigenen im Departamento Valle de Cauca. Zu diesem Thema findet ihr mehr im Kapitel über die Indigenen im Cauca.

Schuhe im ersten Stock: Erinnerung an die unzähligen Kämpfe der Guerilleros. Die Schuhe stellen eine Aufforderung und Symbol zum weitermachen dar. Der Kampf ist noch nicht vorbei. Attrappen von Gewehren: El Movimiento 19 de Abril, kurz M-19, war ab 1990 eine politische Partei in Kolumbien. Auch viele Intellektuelle gehörten der Partei an. Vorher galt die M-19 als eine linke kolumbianische Guerillaorganisation. Durch unterschiedlichste soziale Aktionen war die M-19 bei den Bewohner*innen in Siloé äußerst beliebt. Die Waffen sollen an die M-19 und ihre gewaltsame Auflösung durch das Militär erinnern (vgl. Durán, Loewenherz, Hormaza 2008: 16).

Kameras, Fotos und Briefe: Diese Installationen stehen für den kommunikativen Prozess mit den Menschen,  Kindern und Geschichten die erzählt werden. 

Viele Fotos zeigen vor allem auch die Geschichte des Kohleabbaus in Siloé.

Abb. 7: Kunstinstallation mit Kameras. (Eigene Aufnahme)

Die Vermarktung und den Handel übernahmen die wohlhabenderen Bewohner*innen Calis und die, überwiegend aus dem Süden (unter anderem von Quito nach Cali), geflüchteten Menschen bauten die Kohle ab. Der Kohleabbau brachte  die Menschen auf der Suche nach Arbeit zusammen. Die Bewohner*innen Siloés konnten bis 1995 den Unterboden auf dem ihre Häuser stehen noch selber nutzen und bauten somit auch eigenständig das ,,schwarze Gold’’ ab. Ab 1995 wurde die Nutzung von Ober- und Unterboden getrennt, um genau diese Art von Bewirtschaftung zu differenzieren. Viele Minen im Viertel wurden zum Teil geschlossen, werden aber bis heute noch vereinzelt genutzt. Die Bewohner*innen schützen die Minen, um ihr geringes Einkommen dadurch zu sichern. Die innerstädtischen Minen stellen ein gravierendes Risiko dar. Dadurch werden unterirdische Wasserläufe gefördert und die Statik des Viertels gefährdet. Durch die Hanglage ist Siloé extrem erdrutschgefährdet und man geht davon aus, dass bei einem stärkeren Erdbeben ein Großteil der Häuser komplett zerstört werden würde.

Abb. 8: Fotografie von früheren Mineneingängen in der Comuna. (Eigene Aufnahme)

Der Extraktivismus ist auch hier ein Thema, welches die Bewohner*innen beschäftigt. Multinationale Großkonzerne wie wir am Beispiel der Mine El Cerrejón in der Region La Guajira erlebt haben, zerstören die Natur, verletzten Menschenrechte und vertreiben auf brutalste Weise die Bewohner*innen der Region und das oftmals im legalen Rahmen und von der Regierung gedudelt. Wenn die Bewohner*innen Siloés aber im kleinen Maße Kohle selber abbauen, werden Sie kriminalisiert (vgl. Dießelman, Eisele 2015: 17ff.).

Besuch der Fundación Universitaria Cali

Abb. 9: Unicatólica. (Eigene Aufnahme)

Im Anschluss an den Rundgang durch das Stadtviertel Siloé folgten wir der Einladung eines Dozenten der UNICATÓLICA (Fundación Universitaria Católica) in Cali. Zwar besuchten wir schon in der ersten Woche die Universität Externado in Bogota, hatten in der Zwischenzeit aber auch viele Gespräche mit Aktivist*innen und Mitgliedern sozialer Bewegungen, weswegen ich umso gespannter war, eine weitere Universität kennenzulernen. Gegründet wurde die private und katholische Universität in Cali 1996, basierend auf der Idee des Erzbischofs Isaias Duarte Cancino, der sah wie viele Abiturienten keinen Zugang zur Hochschulbildung hatten. Mittlerweile gibt es 5 verschiedene Fakultäten, (für Ingenieurwissenschaften, Bildungswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Sozial-und Politikwissenschaften und eine theologische, philosophische und geisteswissenschaftliche Fakultät) in denen ungefähr 4.000 Menschen studieren. Die Interessen und Bemühungen der Universität sind  eigenen Angaben nach darauf gerichtet, inmitten einer globalisierten Welt, die durch große wissenschaftliche und technologische Fortschritte gekennzeichnet ist, die Würde des Menschen in seiner persönlichen und integralen Ordnung und in seiner Gruppendynamik aus seinen verschiedenen Kontexten und Dimensionen (wirtschaftlich, sozial, kulturell, politisch, religiös und ökologisch) zu erzeugen, zu bewahren und zu verteidigen. Die Vision der Fundación Universitaria Católica lautet in der Region als die katholische Universität anerkannt zu werden, die den Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Hochschulbildung am meisten erleichtert und einen angemessenen Einfluss auf die Person und ihre Grundrechte, die Gesellschaft und die Umwelt hat (vgl. https://www.unicatolica.edu.co) .

Wir wurden nett begrüßt und über viele kleinere Wege zum Institut für Humanwissenschaft begleitet. Dort erwarteten uns in einem stark klimatisierten Raum zwei junge, indigene Studierende der Universität, die  der Gemeinschaft der Nasa und der Muisca angehören.

Die Universität bietet Studiengänge extra für indigene Studierende an, beziehungsweise unterliegt einer Vorlage, dass die Anzahl der gesamten Studierenden mit einer bestimmten Anzahl von indigenen Studierenden aufgefüllt werden muss. Auch diese Universität ist eine Privatuniversität, aber  im Vergleich zu anderen privaten Universitäten günstiger. Bevor ich darauf eingehe was in dem Seminarraum besprochen wurde, möchte ich noch ein paar Worte zu dem Namen der Universität  und darüber hinaus der Stellung der Kirche in Kolumbien schreiben.  Ich habe mich gefragt, inwiefern die Religion, aber vor allem die katholische Kirche Einfluss auf die Gesellschaft nehmen kann und was ihre Rolle in den zahlreichen Konflikten des Landes ist. Dieses Thema war zwar nicht grundlegend für unsere Exkursion, dennoch spielt die Religion innerhalb der Konflikte eine starke Rolle, weswegen es mir wichtig ist, die Entwicklung der kolumbianischen Kirchenhierarchie zu kennen und sich damit auseinanderzusetzen.

Exkurs – Stellung der Kirche

Im Folgenden werden Inhalte und Entwicklungen der katholischen Kirche aus den letzten Zwei Jahrzenten dargestellt. Als Reaktion auf die Verschlechterung der innenpolitischen Lage Ende der 80ziger Jahre hat man 1991 eine neue Verfassung verabschiedet. In der Verfassung von 1886 wird im Artikel 38 die katholische Kirche noch wie folgt beschrieben: „Die katholische, apostolische, römische Religion gehört zur Nation, die öffentliche Gewalten werden sie schützen und dafür sorgen, dass sie als ein wesentliches Element der sozialen Ordnung respektiert wird.“  (vgl. José Darío Rodríguez Cuadros 2017: 259) Die Kirche genoss so den Schutz durch die öffentlichen Gewalten und erhielt weitreichende Kontrolle über das Bildungssystem. Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat waren nahezu im gesamten 20. Jahrhundert – mit Ausnahme von gewissen Momenten der Spannung – durch eine Atmosphäre großer Nähe und wechselseitiger Beeinflussung charakterisiert. Doch der starke soziale und politische Einfluss der Kirche erlebte im Laufe der Zeit verschiedene Veränderungen. Seit Beginn der 1990er Jahre ist der Einfluss zurückgegangen und hat sich gewandelt. Dazu haben Faktoren wie die Intensivierung des bewaffneten Konflikts, die Ausdehnung des Drogenhandels, die Stärkung der paramilitärischen Gruppen und insbesondere die erneuerte Verfassung von 1991 beigetragen. Der Erlass der Verfassung von 1991 war ein prägender historischer Moment für die katholische Kirche Kolumbiens. So ist die neue Verfassung nicht konfessionsgebunden, sondern offen für Religionsfreiheit. Das bedeutet, sie leitet die Legitimität nicht mehr von der Autorität Gottes ab, sondern vom kolumbianischen Volk. Sie veränderte den katholischen Charakter der Verfassung, die Vorrangstellung in der Präambel des Textes, sowie die Rolle der Kirche als Garant der sozial moralischen Ordnung der Familie und des kolumbianischen Bildungssystems in Hinblick auf die religiöse Erziehung in öffentlichen und privaten Einrichtungen. Die Entwicklung des Status der Religion begann mit Diskussionen über die neue Verfassung, aber auch das nationale Bildungsgesetz von 1994, das Rollenverständnis der Kirche, das Scheidungsrecht, sowie die kontinuierlichen Klagen über die durch den Drogenhandel verursachte Gewalt waren Themen. 1995 leistete die Kirche einen wichtigen Beitrag zum öffentlichen Leben und veröffentlichte die Studie der Bischofskonferenz von Kolumbien über das Phänomen der Vertreibungen im Land (CEC 1995). 1998 bis 2002 konzentrierte man sich auf die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen, Entführungen und die Tötung von Geistlichen im Zuge der Verschärfung des bewaffneten Konflikts. Korruption war dabei auch immer wieder ein Begriff, weswegen die Kirche insbesondere im Kontext der Wahlen versuchte, auf das Gewissen der Wähler*innen einzuwirken. In der sogenannten dritten Phase  (2003 bis 2010) der Entwicklung äußerte sich die Kirche vor allem zur Notwendigkeit einer Verhandlungslösung für den bewaffneten Konflikt, während die Regierung um Präsident Álvaro Uribe eine militärische Lösung anstrebte. Menschenrechtsverletzungen und politische Korruption waren weiterhin präsent und wurden von der Kirche angeprangert; vor allem als Verbindungen von mehr als der Hälfte der Parlamentsabgeordneten mit paramilitärischen Gruppen festgestellt wurden. Die katholische Kirche sprach sich zudem für die Notwendigkeit einer Agrarpolitik aus, welche die Grundlagen der bäuerlichen Landwirtschaft stärkt und so zu einem strukturellen und dauerhaften Frieden beitragen kann. In Bezug auf moralische Fragen wurde sich weiterhin gegen Abtreibung und gegen die Sterbehilfe ausgesprochen. 2011 bis 2015 lag der Fokus dann auf den Opfern des bewaffneten Konflikts, der Unterstützung der Friedensgespräche zwischen Regierung und FARC sowie auf der Bekämpfung der Korruption. Es folgten Betreuung und Unterstützung der Opfer des bewaffneten Konflikts. Die an Arbeiter*innen und Landwirt*innen gerichtete Erklärung betonte das Recht auf Arbeit, faire Löhne und eine gerechte Verteilung von Gütern und Land.  Es gab Äußerungen zugunsten der Anerkennung der Würde und der Rechte der indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften. Gegen die Themen Abtreibung und Sterbehilfe, aber auch Auflösung kirchlich geschlossener Ehen wurde sich weiterhin ausgesprochen. So erscheint es, dass sich die Rolle der Kirche durch die Verfassung von 1991 von einer passiven zu einer viel aktiveren Rolle gewandelt hat (vgl. José Darío Rodríguez Cuadros 2017: 259 – 276).

Abb. 10: Seminarraum in der Unicatólica. (Eigene Aufnahme)

Zurück in dem Seminarraum der  Unicatólica  stellen sich die zwei jungen Studierenden uns nun vor, sie studieren Sozialwissenschaften. An der Universität in Cali bekämen sie die Möglichkeit als Indigene zu studieren, ohne die eigene Identität zu verlieren und möchten nach Abschluss des Studiums zu ihren jeweiligen Gemeinden zurückkehren und dort arbeiten.

Auch die beiden Studierenden sprechen von der Verfassung von 1991, sie verdeutlichen die hohe kulturelle Diversität des Landes. In der Realität, gebe es allerdings nur die sogenannte “zweite” Version von Staat. Im zentralistischen Staat gibt es nur eine Religion und eine Sprache. Anschließend berichten die beiden von der angespannten Situation im Cauca. Dadurch, dass wir uns zuvor schon thematisch mit dem Cauca und den aktuellen Landkonflikten auseinandergesetzt haben, waren uns die Inhalte schon bekannt, aber sie noch einmal aus der Perspektive der zwei Studierenden im Rahmen der Universität erklärt zu bekommen, war noch einmal sehr emotional. Auch Jorge Leonardo Orozco Holguin, Geographieprofessor an der  Unicatólica, greift das Thema auf und veranschaulicht unter anderem den Zusammenhang zwischen den vielen gewaltsamen Konflikten und dem Kokaanbau. Beispielsweise zeigen die zwei abgebildeten Karten von Kolumbien (Siehe Abbildungen 11 & 12)  auf der einen Seite, wie stark Konflikte in den jeweiligen Regionen vertreten sind und auf der anderen Seite, wie sehr die Cultivos de Coca (Kokaanbauflächen) im Land verteilt sind. Auffällig dabei ist, dass besonders der südliche Teil Kolumbiens von gewaltsamen Konflikten geprägt ist und zugleich eine hohe Hektaranzahl von Kokaplantagen nachweist. Auch wird auf den Bergbau eingegangen. Viele Comunidades leben es schon vor: Einen Bergbau im Einklang mit der Natur. In den knapp zwei Stunden, in denen wir in der Universität sein durften, haben wir neue Ansichten kennen gelernt und es wurde wieder einmal deutlich, wie vielfältig die Kultur in

Abb. 11: Verteilung der Konflikte in Kolumbien (Eigene Aufnahme)
Abb. 12: Verteilung der Kokaanbauflächen in Kolumbien (Eigene Aufnahme)

Kolumbien ist. Gerade aufgrund der hohen kulturellen Diversität gibt es große Unterschiede, dabei kommt es regelmäßig zu Kämpfen, was die Spaltung innerhalb der Bevölkerung bestehen lässt. Die Thematiken, die angesprochen wurden, werden in anderen Kapiteln nochmal sehr viel ausführlicher behandelt, weswegen an dieser Stelle die Darstellungen nur kurz skizziert wurden. Der Besuch in der Universität sowie die Gespräche mit den beiden Studierenden waren sehr aufschlussreich und bereichernd. Sie haben uns anschaulich dargestellt, welche Bedeutung Landkonflikte für die Entwicklungen in der Region langfristig haben (vgl. Mitschrift).

Literaturverzeichnis

  • Cuadros, J.D.R. (2017): Die Kirche. – In:  Fischer, T. ; Klengel, S. ; Buelvas, E. P.  (Hrsg.) Kolumbien heute. Politik, Wirtschaft, Kultur. Frankfurt am Main.
  • Dießelmann, A. (2014): ,,Ausgrenzung sichtbar machen – Das Museo Popular de Siloé erzählt die Geschichte des Viertels‘‘. https://www.ila-web.de Letzter Zugriff 15.06.2019
  • Dießelmann, A. ; Eisele, M. (2015): ,,Kohlestollen unter Wohnhäusern – Illegalisierte Minen in Cali‘‘. https://www.ila-web.de Letzter Zugriff 15.06.2019
  • Durán, M.; Loewenherz, V.; Hormaza, O. (Hrsg.) (2008): M-19’s Journey from Armed Struggle to Democratic Politics: Striving to Keep the Revolution Connected to the People (Berghof Transitions Series). Berlin.
  • Unicatólica (2019): ,,Nuestra Institución‘‘ https://www.unicatolica.edu.co. Letzter Zugriff 31.07.2019

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Gruppenbild auf den Hängen Siloés. Eigene Aufnahme.
Abb. 2: David Gómez. Eigene Aufnahme.
Abb. 3: Zwischenstop auf dem Marktplatz. Eigene Aufnahme.
Abb. 4: Die irische Flagge in Siloé. Eigene Aufnahme.
Abb. 5: Kunst vor dem Museo Popular de Siloé. Eigene Aufnahme.
Abb. 6: Eingang des Museums. Eigene Aufnahme.
Abb. 7: Kunstinstallation mit Kameras. Eigene Aufnahme.
Abb. 8: Fotografie von früheren Mineneingängen in der Comuna. Eigene Aufnahme.
Abb. 9: Unicatólica. Eigene Aufnahme.
Abb. 10: Seminarraum in der Unicatolica. Eigene Aufnahme.
Abb. 11: Verteilung der Konflikte in Kolumbien. Eigene Aufnahme.
Abb. 12: Verteilung der Kokaanbauflächen in Kolumbien. Eigene Aufnahme.

Zum Weiterverfolgen eins der Videos von dem YouTube Kanal siloécity tv.