Themen der Exkursion

Themen der Exkursion

Kolumbien 2019 

Philipp Ehrhardt und Carla Kienel

Im ersten Moment wird Kolumbien oftmals mit Drogenhandel, dem langjährigen bewaffneten Konflikt, der Missachtung der Menschenrechte sowie Korruption assoziiert. Diese Vorstellungen und die in den Medien verbreiteten Themen können jedoch der Komplexität der sozialen und politischen Situation im Land längst nicht gerecht werden. Um sich einem Verständnis der heutigen Situation in Kolumbien annähern zu können, müssen zunächst die Hintergründe sowie die vielen verschiedenen Perspektiven und Ursachen des immer noch andauernden Konfliktes beleuchtet werden. Viele dieser Themen erfahren jedoch global nur wenig mediale Aufmerksamkeit. Zwar ist der langjährige bewaffnete Konflikt auch heute noch prägend und im alltäglichen Leben spürbar; das Land verfügt jedoch über weitaus mehr, über das es zu berichten gibt, wie etwa die einzigartige Artenvielfalt sowie der kulturelle Reichtum des Landes.

Mit „Colombia, un espacio de vida y encuentro pluricultural” („Kolumbien, ein Ort des Lebens und der multikulturellen Begegnung“) (DANE 2007) beginnt das nationale Verwaltungsamt für Statistik seinen Bericht über die Diversität und Demographie der kolumbianischen Bevölkerung. Dabei stellen die indigenen Einwohner*innen und die Nachfahren der während der Kolonialzeit aus Afrika nach Kolumbien versklavten Afrokolumbianer*innen heutzutage lediglich eine Minderheit dar. Von den derzeit mehr als 49 Millionen Einwohner*innen des Landes (Statista Stand 2018) beträgt der Anteil der Indigenen etwa 3% und der Anteil der afrokolumbianischen Bevölkerung ca. 14% (Hora et al. 2017: S.68ff). Die restliche Bevölkerung setzt sich aus Mestizen (45%) und Weißen (38%) zusammen (ebd.).

Abb.1: Bogotá.Eigene Aufnahme

Insbesondere die unterschiedliche Verteilung von Land, Reichtum und Einfluss führt seit der kolonialen Eroberung des heutigen Kolumbiens besonders im ländlichen Raum zu erheblichen Spannungen, gewaltvollen Auseinandersetzungen und sozialen Ungleichheiten. Dabei treffen die Traditionen und Kulturen der Campesinos (bäuerliche Gemeinschaften), Indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden auf die sich stetig ausbreitenden Großgrundbesitz- sowie Bergbaugebiete, die die Existenzen der kleinbäuerlichen Bevölkerung Kolumbiens seither bedrohen. Da sich besonders indigene und afrokolumbianische Gemeinden fehlender gesellschaftlicher sowie politischer Anerkennung konfrontiert sehen, bleibt ihnen aufgrund der unzureichenden Rechtsgrundlage kaum eine Chance, sich der sich ausbreitenden industrialisierten Landwirtschaft zur Wehr zu setzen.
Darüber hinaus sahen sich vor allem aufgrund des bewaffneten Konfliktes und der willkürlich herrschenden Gewalt auf dem Land viele gezwungen, den ländlichen Raum zu verlassen. Oftmals zogen sie in die umliegenden Städte, wo sie nach neuen Perspektiven und sozialen sowie beruflichen Möglichkeiten suchten. Diese Land-Stadt-Wanderung führte zu einer abnehmenden Bevölkerung auf dem Land, wirkte sich jedoch ebenso auf die Entwicklung der kolumbianischen Großstädte aus: Diese expandierten in den vergangenen Jahrzehnten unkontrolliert in ihr Umland und aus informell gewachsenen Marginalvierteln entstehen heute zunehmend für Immobilienmakler attraktive städtische Randgebiete (Taraschewski 2003). Währenddessen zeigt sich, dass die paramilitärischen Gruppen in den Konfliktregionen mit den transnationalen Unternehmen im ländlichen Raum zusammenarbeiten und schüren folglich die auf dem Land herrschende Gewalt und Vertreibungen (Azzellini 2016).
Denn die Ursachen des über 50 Jahre herrschenden bewaffneten Konflikts, der das Land erschütterte und den Alltag vieler Menschen bis heute beeinflusst, sind auch mit dem Friedensvertrag, der 2016 unterschrieben wurde, noch nicht behoben. Unterzeichner*innen des Vertrages sind sowohl die kolumbianische Regierung als auch die bedeutendste Guerilla-Gruppe, die FARC-EP (Fuerzas Armadas revolucionarias de ColombiaEjercito del Pueblo; dt. Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee). Der Friedensvertrag dient unter anderem der Demobilisierung der FARC-EP sowie der Beendigung des bewaffneten Konflikts, umfasst jedoch auch Maßnahmen, die von Seiten der Regierung ergriffen werden müssen. Da die aktuelle rechtsgerichtete Regierung unter Iván Duque die Inhalte dieses Vertrags jedoch seit Beginn der Amtsperiode offen ablehnt (Schnatterer April 2019) und die Gewalt im Land seitdem vor allem von paramilitärischen Gruppen ausgeht, bleibt umstritten, inwieweit die aktuelle innenpolitische Situation einen Frieden widerspiegelt. Seit Beginn des Friedensabkommens seien 128 ehemalige FARC-Mitglieder ermordet worden (ebd.)

Um diesen komplexen Zusammenhängen im Rahmen unserer zweiwöchigen Exkursion wenigstens etwas gerecht werden zu können, nutzten wir während unserer Reise die Chance, Angehörigen der indigenen Gemeinschaft Nasa und der afrokolumbianischen Gemeinden im Cauca sowie ehemaligen FARC-Kämpfer*innen in einem Demobilisierungscamps zu begegnen, um uns ihre unterschiedlichen Geschichten anzuhören und Perspektiven kennenzulernen. Außerdem beschäftigten wir uns anhand einzelner Stadtteile in Bogotá und Cali mit dem Thema der Stadtentwicklung hinsichtlich der von der Landflucht beschleunigten Urbanisierungsprozesse.

In der zweiten Woche reisten wir in den Bundesstaat La Guajira und besuchten den größten Steinkohle-Tagebau Lateinamerikas, El Cerrejón (Vieth 2019). Kolumbien ist einer der größten Kohleexporteure weltweit: Allein Deutschland importierte im Jahr 2017 noch etwa 10 Millionen Tonnen der kolumbianischen Steinkohle (MISEREOR 2017).  

Abb.2: El Cerrejon. Eigene Aufnahme

Auch in La Guajira wird der Interessenkonflikt in Bezug auf die Landfrage deutlich: Viele Dorfgemeinschaften, darunter marginalisierte Gruppen wie die Wayuu – die größte indigene Gemeinschaft Kolumbiens – wurden und werden gezwungen, ihr Land aufgrund der sich ausbreitenden Mine zu verlassen und sehen sich heute mit unzähligen Problemen konfrontiert. Das in diesem Zusammenhang bekannteste Beispiel einer Umsiedlung ist das Dorf Tamaquito, welches durch den Film „La Buena Vida“ (dt. „Das gute Leben“) insbesondere in Kolumbien und Deutschland große Aufmerksamkeit erhielt. Darüber hinaus trafen wir Vertreter der Gewerkschaft SINTRACARBON sowie Angehörige der ebenso von den Auswirkungen des Kohleabbaus betroffenen afrokolumbianischen Gemeinde Roche.

Obgleich auch wir uns während unserer Exkursion mit den Themen des bewaffneten Konflikts und der damit zusammenhängenden ungleichen Land- sowie Ressourcenverteilung beschäftigten, möchten wir zu Beginn betonen, dass die Eindrücke und Erzählungen, die wir in diesem Blog zusammen getragen haben, nur einen Blickwinkel auf das Land darstellt, den wir im Rahmen unseres Studiums aus einer humangeographischer Schwerpunkte einnahmen.

Vor und während der Exkursion machte sich unsere Gruppe viele Gedanken darüber, wie wir unsere Erlebnisse und unser neu gewonnenes Wissen im Nachhinein festhalten und teilen wollen. Letztendlich beschlossen wir, anstelle eines klassischen Exkursionsberichtes, der lediglich der Exkursionsgruppe dient, diesen Blog zu erstellen, um unsere Erfahrungen mit einem größeren Publikum teilen zu können.
So erhoffen wir uns, mithilfe des Blogs einen kleinen Einblick in die konfliktreiche Geschichte und Gegenwart des Landes sowie in die Interessen der verschiedenen involvierten Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen. Des Weiteren sollen im Folgenden Themen beleuchtet werden, die in den deutschen Nachrichten nur geringfügig präsent sind, denen wir als Gruppe jedoch eine größere Bedeutung beimessen wollen. Mehrfach gaben uns die Menschen, denen wir während unserer Exkursion begegneten, den Wunsch mit auf den Weg, das von ihnen Berichtete weiterzugeben.

Somit sehen wir uns auch in der Verantwortung, ihre Geschichten weiterzutragen und die Menschen auch in Deutschland daran teilhabenzulassen. Hierbei ist es uns wichtig zu betonen, dass wir nicht lediglich auf schwierige Lebenslagen aufmerksam machen und ein allgemeines Verständnis bezüglich der Auswirkungen von Landkonflikten auf die unterschiedlichen Gruppen ermöglichen möchten. Stattdessen steht auch der Bezug zu Deutschland und der in Deutschland vorherrschenden Lebensweise im Vordergrund. Denn wie wirkt sich beispielsweise das Ende des Steinkohleabbaus in Deutschland auf die Steinkohleproduktion in Kolumbien und die in der Bergbauregion lebende Bevölkerung aus?
Die deutsche Produktions- und Lebensweise ist nach wie vor von fossilen Energieträgern abhängig. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Deutschland 2018 aus der Steinkohleproduktion ausgestiegen ist. Der Bedarf muss somit anderweitig kompensiert werden. Die demnach steigenden Kohleimportmengen führen daher zu einer Verlagerung der sozialen sowie ökologischen Auswirkungen und Konflikte. Folglich müssen auch wir uns die Frage stellen, inwieweit wir als Nutznießer*innen der Steinkohle, für die in den Regionen des Abbaus herrschenden Probleme und sozialen Ungleichheiten in Kolumbien und anderen Produktionsländern eine Mitverantwortung tragen.  

Hier geht es zu den Kapiteln:
Die Kapitel sind chronologisch nach den Tagen geordnet und beinhalten sowohl wissenschaftlich erarbeitete Hintergründe, als auch unsere Erfahrungen während der Exkursion.

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis:

Abb.1: Bogotá. Eigene Aufnahme
Abb.2: El Cerrejon. Kohlemine im Norden Kolumbiens. Eigene Aufnahme