Erfahrungsberichte aus La Elvira

Erfahrungsberichte aus La Elvira

 Erfahrungsberichte aus La Elvira                                           

Abb. 1: Zona Veredal de Transición y Normalización Carlos Patiño, La Elvira. (Eigene Aufnahme)

Um die Situation einiger Menschen der FARC-EP besser nachvollziehen zu können, besuchten wir im Rahmen einer großen Exkursion die Zona Veredal de Transición y Normalización Carlos Patiño, La Elvira . Wir wurden im Ort Timba, Valle del Cauca, von Eduardo empfangen. Er selbst lebt nicht im Dorf, sondern kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit und die Präsenz der FARC-EP im politischen Kontext über die Grenzen der Region hinweg. Der Weg Richtung Lager führte durch beeindruckende Bergketten, entlang an steilen Hängen und war somit nur langsam befahrbar. Er führte vorbei an kleineren Häusergruppen, einigen bestellten Feldern, Coca-Plantagen und kleineren Waldgebieten. Das Camp selbst liegt recht weit oben an einem flachen Berghangnd ist räumlich in zwei Teile unterteilt. Der untere Teil wurde bereits vor vielen Jahren von der FARC errichtet und ist somit deutlich älter. Hier gibt es einen größeren Versammlungsraum, ein Wohnhaus, von dem auch die Verwaltung geregelt wird und eine überdachte Fläche für Sportaktivitäten oder Versammlungen. An der Seite des Versammlungshauses befinden sich Bilder von ehemaligen FARC Funktionären.

Abb. 2: Begrüßung vor dem Wohnhaus. (Eigene Aufnahme)

Im oberen Teil, etwa vier Minuten Fußweg entfernt, waren die neueren Gebäude zu finden. Einige kleine Wohnhäuser, eine Versammlungsfläche und ein Raum, welcher als Museum der FARC-EP diente. Ähnlich wie die Bilder der Führungskräfte soll es an den Kampf und die damit verbundenen Verluste erinnern. Das Aussehen wirkt im Vergleich zum unteren Teil durch die grauen Dächer und den spärlichen Bau auf eine Art steril und bildet einen deutlichen Kontrast zu der grünen Umgebung.

Abb. 3: Wohnhäuser des oberen Campteils. (Eigene Aufnahme)

Die Bewohner*innen bemalten einige der Häuser mit Abbildungen in bunten Farben. Die Motive deuten auf die Verbundenheit zur Natur und die Stärke durch Gemeinschaft hin. Nochmals einen kleinen Hang hinauf waren einige nicht fertiggestellte Gebäude zu sehen. An dieser Stelle soll eines Tages ein Kindergarten entstehen. Das Dorf wurde im Gespräch neben Eduardo durch Pacho, dem Verantwortlichen für die Verwaltung der Gruppe sowie des Ortes, vier Personen des Schutzprogramms und einem weiteren, lange aktivem FARC Mitglied repräsentiert. Im Demobilisierungscamp in La Elvira lebten einst 300 Ex-Guerillas der FARC-EP, zum Zeitpunkt unseres Besuchs bewohnte nur noch ein kleiner Teil fest im Camp.

Abb. 4: Versammlungsplatz und Museum des oberen Teils. (Eigene Aufnahme)

Im Zuge der Blockaden des Friedensprozesses verließen über 200 Menschen aus verschiedensten Gründen den Ort der geplanten Resozialisierung. Bei unserem Besuch trafen wir rund 20 Personen an, darunter einige Kinder und vier Personen des besagten Schutzprogrammes. Auf Wunsch der FARC-EP werden diese Personen durch andere Mitglieder begleitet und beschützt. Der Vorschlag, Leibwächter von staatlicher Seite einzusetzen, wurde abgelehnt und uns gegenüber mit dem Verdacht der Korruption dieser Leibwächter begründet. Im Gespräch herrschte eine ruhige Atmosphäre, die Mitglieder der FARC waren höflich und interessiert daran, ihre Eindrücke mit uns zu teilen. Im Lager selbst wurden die Gründe der Kritik an der Einhaltung des Vertrags deutlich. Das ursprüngliche Camp des Widerstands sollte durch staatlich finanzierte Gebäude ausgebaut werden, um die Eingliederung der Ex-Guerillas in den Bereichen Bildung und regionale Ökonomie zu unterstützen. Die Errichtung der Gebäude dauerte jedoch deutlich länger als geplant, einige sind bis heute nicht fertiggestellt. Ein fehlender Ausbau der Wasserversorgung erschwert das Leben für eine größere Bewohnerschaft zusätzlich. Ein oft genanntes, wesentliches Problem sei zudem die fehlende Integration in rentable Wirtschaftsstrukturen. Die vorherrschende Infrastruktur ist nicht ausreichend ausgebaut, viele Strecken bestehen aus Schotterwegen, wodurch größere Fahrzeuge nur schwer Zugang haben. Die umliegenden Communidades können ihre Produkte kaum gewinnbringend verkaufen. Die Produktion von Kaffeebohnen zum Beispiel sei nicht rentabel, da kein fester Preis garantiert wird und die Entlohnung daher schwankt. Die Bewohner*innen wünschen sich einen Ausbau der eigenen Wertschöpfungskette, um ihren Kaffee teurer verkaufen zu können, jedoch ist dies ohne größere Investitionen nicht möglich. Die Reintegration sollte von staatlicher Seite u.a. finanziell unterstützt werden, um illegale Anbaukulturen durch alternative Agrarnutzung zu ersetzen und somit den Kampf gegen Drogen weiter fortzuführen. Im Gespräch distanziert sich die FARC von illegalen Strukturen, verweist jedoch darauf, dass vielen Kleinbauern immer noch keine vernünftige Alternative geboten wird und sie somit in alten Strukturen verweilen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Der Anblick der umliegenden Cocafelder verweist auf die Schwierigkeit der Kleinbauern, sich durch Kaffee zu finanzieren. Es fehlen Unterstützungen der FARC auf mehreren Ebenen, lediglich die Präsenz auf politscher Ebene werde ihnen ermöglicht, jedoch tue die Regierung alles für ein weiterhin schlechtes Bild der FARC innerhalb der Gesellschaft. Eduardo berichtet von einer spürbaren Beeinflussung der Medien durch den Staat und bekräftigt dies mit einigen Einzelschicksalen. Gleichzeitig scheint für die Mitglieder der FARC immer noch keine Sicherheitsgarantie zu herrschen. Immer wieder kommt es vor, dass Aktivist*innen verschwinden oder sogar ermordet werden. Es sind nicht die einzigen Geschichten, welche aus unserer Perspektive heraus so fremd wirken. Die meisten unserer Gesprächspartner*innen waren vor dem Friedensprozess aktiv an den Kämpfen beteiligt. Viele Jahre lang, einige sogar Jahrzehnte oder fast ihr gesamtes Leben. Ein Mitstreiter berichtet von seiner Lebensgeschichte und seinem freiwilligen Eintritt in die FARC mit 13 Jahren. Er begründete es mit dem großen Unrecht, welches ihm und seinen Leuten damals widerfahren ist. Sein Leben bestand aus keiner uns bekannten Struktur. Seine Leute und er waren ständig in Bewegung, hatten keinen festen Schlafplatz und befanden sich regelmäßig in Gefechten. Doch all diese Vorfälle ließen ihn und seine von ihm genannten Brüder und Schwestern zusammenwachsen. Er war sichtlich dankbar für die Gemeinschaft und den familiären Umgang innerhalb dieser. Gleichzeitig sieht er seine Gemeinschaft nach wie vor bedroht und widmet sein Leben weiter dem Kampf gegen die Unterdrückung. Er verfolgt mit zahlreichen anderen FARC-Mitglieder das Ziel, endlich Frieden für sich und seine Mitmenschen zu finden. Unter uns Besucher*innen machen sich viele Gedanken breit. Was macht ein solches Leben mit einem Menschen? Was bewegt ihn dazu? Welche Gewalt ist ihnen widerfahren und welches Maß an Gewalt ging von ihnen selbst aus? Wie enttäuschend muss es sein, nach so vielen Jahren in Krieg und Angst die Aussicht auf eine friedliche Lösung weiterhin bedroht zu sehen? Es ist ein undefinierbares Gefühl des Zwiespalts mit dem Wissen über die zahlreichen Opfer des Konflikts und der medialen Darstellung während der letzten Jahrzehnte. Das Land scheint gespalten und die ländlichen Regionen von zahlreichen Konflikten um Ressourcen und Fläche geprägt zu sein. Die FARC-EP hatte sich damals als eigens ernannte Stimme des Volkes zu einer Bedrohung für die kolumbianische Regierung aufgerüstet. Mitstreiter und Mitstreiterinnen sind gestorben, Gegner wurden im Gefecht getötet und die Bevölkerung verfiel in Angst vor der Gruppierung. Eine lange Zeitspanne voller Ungewissheit und wenig Zuversicht. Ihren Geschichten und Erzählungen zu lauschen bedrückt. Sie widmeten so viel Lebenszeit dem Kampf für bessere Lebensumstände und sind immer noch nicht bei einer Verbesserung angelangt. Auf eine Art wirken sie erschöpft, doch der Wille nach einem anständigen, selbstbestimmten Leben scheint größer und das Vertrauen in die politische Partei FARC-EP besteht weiterhin. Die Bewohner*innen sind uns gegenüber sehr herzlich, ruhig und offen für alle möglichen Fragen. Sie verloren nie den Anspruch, eine gewaltfreie Konfliktlösung zu erreichen, trotz des massiven Widerstands und der erfahrenen Gewalt. Nach all den Jahren des militärischen Widerstandes versucht die FARC-EP nun, als Partei in Kolumbien Fuß zu fassen. Sie beleben das Camp, um den Kampf gegen die Ungerechtigkeit weiterzuführen. Ihre Waffen legten sie im Glauben an die lang ersehnte Gerechtigkeit nieder und selbst nach dem Ausbleiben des vertraglich geregelten Unterstützungsumfangs halten viele Mitglieder der FARC weiter an dieser Idee fest. Ebenso folgen Berichte über Mitstreiter*innen, welche diesen Glauben scheinbar verloren hätten und wieder den Weg des gewaltsamen Widerstands suchen. Die FARC distanziert sich von eben jener Gewalt, doch sie sehen den Grund dafür weiterhin beim Staat, seiner Korruption und der bestehenden Unsicherheit im eigenen Land, welche sie seit so vielen Jahre begleitet und immer noch kein Ende findet. Ihren Frust bringen sie immer wieder zum Ausdruck und die Enttäuschung, nach einer so langen Zeit des Kampfes keinen merklichen Schritt gemacht zu haben, ist nachvollziehbar. Auch wenn in La Elvira das Ausbleiben der Stärkung der Landwirtschaft am deutlichsten auffällt, kritisieren die Mitglieder dort den Staat gleichermaßen für die restlichen, nicht erfüllten Regelungen. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Bevölkerung auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und der Beeinflussung der Medien entgegenzuwirken. Ebenfalls im Fokus der eigenen Partei steht eine soziale Vernetzung umliegender Communidades mittels gemeinsamer Sportveranstaltungen und weiteren kulturellen Angeboten. Bildungsangebote, aber auch ökonomische Beziehungen, sollen die Vernetzung zusätzlich vorantreiben. Da sie von der Regierung Kolumbiens keine Unterstützung erwarten, nehmen sie die Dinge im Maße ihrer Möglichkeiten selbst in die Hand und wirken dabei gut organisiert. Geschlossen stehen sie für eine Restrukturierung ihres Kampfes und sind dankbar für die Wahrnehmung dessen. Unsere Gesprächsrunde wurde nach einer gemeinsamen Mahlzeit bis zum Sonnenuntergang fortgeführt, am späten Abend wurde im unteren Camp bei guter Laune ausgiebig Fußball gespielt. Am nächsten Morgen führte die Medienvertreterin der Camps ein Interview mit einigen Studierenden durch, in denen sie zur Wahrnehmung des Konflikts befragt wurden, nachdem am Abend zuvor die Bewohner*innen ihre Wahrnehmung und die damit verbundenen Ereignisse und Assoziationen zum Konflikt uns nahelegten.

Abb. 5: Gesprächsrunde am Morgen. (Eigene Aufnahme)

Die Himmelsdecke rund um die Bergformation war an diesem Morgen bewölkt, gedanklich waren viele von uns noch bei den entstandenen Bildern des Vorabends. In dieser kurzen Zeit als fremde Person einen derart tiefen Einblick bekommen zu haben, verdeutlicht, dass die FARC-EP mit ihrer aktuellen Lage äußerst unzufrieden ist und wie wichtig ihnen ein Austausch mit anderen Menschen zu dieser Situation ist. Im Mai 2018 unterzeichnete der italienische Kaffeekonzern Illy zusammen mit der ETCR (Espacio Territoriales de Capacitación y Reincorporación) und Ascafé (Association of small coffee growers) einen Vertrag, durch den die regionale Kaffeeproduktion im Cauca qualitativ verbessert werden soll1 und den Kleinbäuer*innen als auch der FARC-EP Mindesteinnahmen von ca. 25 $ pro Arroba² durch die Abnahme von Kaffee garantiert werden. Die Mitglieder der FARC sind diesbezüglich zuversichtlich und hoffen auf weitere Unterstützung zur Entwicklung ihres Kaffeeanbaus. Die internationale Zusammenarbeit dient als deutliches Zeichen für den Friedensprozess und wirkt dem Druck der Regierung entgegen.

Mit Abschluss dieses Berichtes möchten wir uns den Wünschen der von uns getroffenen Personen anschließen und hoffen auf einen erfolgreichen Friedensprozess. Die Ex-Guerillas haben sich entwaffnet und sind bereit, kooperativ für eine bessere Situation zu arbeiten. Doch die Verantwortung für die Umsetzung liegt nicht in einer Hand, sondern wird mit dem Staat bzw. der Regierung geteilt. Es liegt nun an der Regierung, ihre Teile der Abmachung einzuhalten und dem Vertrag gerecht zu werden, denn ein Leben in Freiheit ist des Menschen höchstes Gut und verdient dementsprechend die benötigte Auseinandersetzung.

Für weiterführende Informationen zur Kooperation mit Illy:

Adams, M. (30/04/2018): „Percolating peace through illy’s Colombian coffee farms“. https://hub.united.com/united-percolating-peace-2490965908.html (Zugriff: 03.06.2019).
Sandoval, D. (30/04/2018): „A Coffee for peace“: The seed that gave rise to „Café de la Esperanza“ in Cauca, Colombia.“. https://colombia.unmissions.org/en/coffee-peace-seed-gave-rise-%E2%80%9Ccaf%C3%A9-de-la-esperanza%E2%80%9D-cauca-colombia (Zugriff: 29.05.2019).

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