Das Ökosystem Páramo

Das Ökosystem Páramo

Das Ökosystem Páramo

Hannah Siegers, Joline Friese, Loris Hohm

Auf der Fahrt von Usme in Richtung Nationalpark Sumapaz sind wir an unterschiedlich geprägten Landschaften vorbei gekommen. Die Dörfer wurden kleiner und weniger, bis schließlich nur noch einzelne Hütten in der bergigen Landschaft zu finden waren. Zu Beginn sind wir noch auf geteerten Straßen gefahren, kurz vor dem Nationalpark wurden die Wege schmaler und waren nicht mehr befestigt, sodass wir mit dem großen Reisebus nur noch langsam vorangekommen sind.

Abb. 1: Fahrpause (Eigene Aufnahme)

Hier gehts zu einem Video mit Eindrücken vom Park!

Der Nationalpark Sumapaz

Der Eingang zum Nationalpark Sumapaz liegt ungefähr 23 Kilometer südlich von unserem vorherigen Halt Usme auf einer Höhe von ca. 3.800 m. Die Bezeichnung Nationalpark trägt er seit 1977. Er gilt als besondere ökologische Region in Kolumbien, da zwei der wichtigsten tropischen Gebirgsökosysteme im Nationalpark vertreten sind. Zum einen der Páramo, welcher außerhalb von Kolumbien nur noch in Venezuela, Peru und Ecuador zu finden ist und zum anderen die Andenwälder. Der Nationalpark ist eines der Hochgebirgsgebiete, in welchem besonders viele verschiedene Arten und Gattungen von Tieren und Pflanzen zu finden sind. In den folgenden Abschnitten werden einige Beispiele zur Flora und Fauna genannt. Da der Park über eine große Anzahl von Organismen verfügt, von denen viele endemisch sind, also nur in diesem Gebiet zu finden sind, ist er zu einem wichtigen Reservoir für die biologische Vielfalt Kolumbiens geworden (Mitschrift). Der Sumapaz-Nationalpark umfasst mit 142.112 ha etwa 43% des weltweit größten Páramos-Komplexes, der nach Angaben des Alexander von Humboldt Instituts (2012) eine Gesamtfläche von 333.420 ha aufweist.  Eine der Hauptfunktionen der Ökosysteme im Sumapaz ist die Wasserregulierung der oberen Becken verschiedener Flüsse für die umliegenden Departements (vgl. Sumapaz Website). Das landschaftliche Bild ist von den Resultaten der vergangenen Eiszeitengeprägt. Das gesamte Gebiet war früher vergletschert und an den Berghängen sind sichtbare Spuren finden. Durch das Abschmelzen der Gletscher formte sich die Landschaft in Moränen, Trogtäler und Endmoränen (Mitschrift).

Abb. 2: Karte Sumapaz (GoogleMaps)

Flora und Fauna

Die Region Sumapaz gilt als eines der größten Gebiete mit enormer Pflanzenvielfalt auf der Welt. Es gibt 148 Familien, 380 Gattungen und 897 Arten im Park, von denen rund 25 Gattungen endemisch sind. Dies entspricht etwa 8% der nationalen Gesamtzahl (vgl. Sumapaz Website). Die am häufigsten vorkommende Pflanze im Park ist die Espeletia oder auch Frailejones genannt. Der Name leitet sich vom spanischen Wort fraile ab und bedeutet soviel wie Ordensbruder, weil sie im häufig auftretenden Nebel aussehen wie Mönche auf einer Pilgerreise. Sie gehört zu den Korbblütlern und ist nur in Páramoregionen zu finden. Ihr Wachstum ist mit rund 1cm pro Jahr sehr langsam. Die Pflanzen mit einer Höhe von über 2m können ein Alter von über 100 Jahren aufweise. Die Blätter besitzen kleine Härchen, mit denen sie Wasser aus der Umgebung aufnehmen können, tote Blätter dienen zum Schutz des Stammes und hängen nach unten (vgl. Franke & Zimmermann 2012: 124 & Mitschrift).

Abb. 3: Frailejones (Eigene Aufnahme)

 Zum Weiterlesen:
Las extrañasplagas en los frailejonesquetienenpreocupados a los científicos colombianos- Seltsame Schädlinge in den Frailejones, beunruhigen die kolumbianischen Wissenschaftler (2018)

Der Boden im Park besteht zum größten Teil aus einer dünnen Humusschicht, weshalb hier nur niedrige Pflanzen mit flachen Wurzeln und keine Bäume wachsen. Das Land innerhalb und nah um das Schutzgebiet herumwird vor allem von den einheimischen Bauern zum Anbau von Kartoffeln oder zur Viehzucht genutzt. Zusätzlich zu den Nutzflächen finden sich Grasland, Wiesen und Torfmoore im Park. (vgl. Sumapaz Nationalpak Management Plan).

Fauna

Insgesamt finden sich in ganz Kolumbien ca. 2.890 Landwirbeltierarten, 456 Säugetierarten und 1800 Vogelarten. Von den gemeldeten Säugetieren sind ungefähr 22% vom Aussterben bedroht (vgl. Blöth, P. 2019). Im Sumapaz wurden laut Managementplan etwa 260 Arten von Säugetieren gemeldet. Zu diesen gehören unter anderem die Páramo- und Dschungeltapire (Tapirus pinchaque und T. terrestris), das Weißbartpekari (Tayassu pecari), der Weißschwanzhirsch (Odocoileus virginianus), der Schmetterlingstiger (Panthera onca), der Puma (Puma concolor) und der Tigrillo (Leopardus pardalis), die Nutria (Lontra longicaudis), der Berghund (Potos flavus) und der brillenförmige Bär (Tremarctos ornatus). Zu den wichtigsten Vogelarten gehören der Kormoran (Phalacrocorax brasilianus), der Grüne Ara (Ara militaris), der Turpial (Cyanocorax yncas), der Gelbpapagei (Ognorhynchus icterotis), der Felsenhahn (Rupicola peruviana), die Aiole oder Guapuchona (Psarocolius decumanus), Wildtruthähne (Penelope sp.) und Tukane (Ramphastos tucanus) (Managementplan PNN Sumapaz, 2013) (vgl. Sumapaz Website). Mit 589 verschiedenen Arten von Amphibien und Reptilien steht Kolumbien ganz oben auf der Weltrangliste, allerdings sind davon 208 Arten als bedroht eingestuft. Diese Bedrohung ist eine der höchsten Raten weltweit und kommt vor allem durch Zerstörung von Lebensräumen, illegalem Handel, sowie Luft- und Wasserverschmutzung zustande (vgl. Blöth, P. 2019).
Hier geht es zu der Flora und Fauna in Bildern.

Wassersystem/ – versorgung

Auf der westlichen Seite des Parks befindet sich das Einzugsgebiet des Flusses Rio Magdalena mit den Becken der Flüsse Sumapaz, Bogotá und Cabrera. Dem gegenüber liegt das Einzugsgebiet des Rio Meta mit den Becken des Rio Blanco und Guayuriba. Die dritte wasserreiche Region liegt um den Rio Guaviare und seine Becken (vgl. Sumapaz Website).Wir haben an der Chisacá Lagune Halt gemacht, welche vom Fluss Tunjuelo, einem Nebenfluss des Flusses Bogotá, gespeist wird. Ihr Name Los Tunjos oder Chisacá bedeutet Tor zum Himmel. Direkt neben der Lagune stand ein Schild mit folgender Aufschrift:

Abb. 4: Hinweistafel an der Lagune (Eigene Aufnahme)

Chisacá Lagune

Der Tunjos Chisacá ist der Ort, an dem sich die Ordnung des Lebens manifestiert. Diese Lagune ist ein angestammter Kultort und Geburtsort des Tunjuelo-Flusses, der die Hauptstadt mit Trinkwasser versorgt. LosTunjos sind Elemente einer mit Wasserverbundenen Opfergabe.

Zum Weiterlesen:
Wo Kolumbiens Wasser fließt: nationale Wasserstudie 2018 Wasserstudie Kolumbien.

Indigenes Ritual zum Dank an die Natur

Um uns im Park willkommen zu heißen, hat einer der kolumbianischen Studenten, die uns begleitet haben, mit uns ein indigenes Dankesritual vollzogen. Dazu haben wir uns alle neben der Lagune in einem großen Kreis versammelt und uns alle nacheinander mit einer Wurzel gesegnet. Während der Zeremonie haben wir kein Wort gesprochen und die Natur auf uns wirken lassen. Passend dazu fing es an zu regnen und es hörte erst am Ende des Rituals wieder auf.

Abb. 5: Im Kreis kurz nach dem Dankesritual (Eigene Aufnahme)

Das Ritual kommt aus dem Glauben des Stammes der Arhuaco. Zu finden ist diese indigene Gemeinschaft in der Sierra Nevada im Norden Kolumbiens. Da dort das ganze Jahr nur wenig Trink- und Regenwasser zur Verfügung stehen ist dieses Element für sie besonders wichtig. Auf die Frage warum wir das Ritual gemacht haben und welche Bedeutung es hatte bekamen wir folgende Antwort;

„Das Mammut (geistliche Älteste) sagt immer, dass die Natur unsere Mutter ist, dass die Erde unsere Mutter ist, wir haben alles, was wir brauchen, um zu leben und uns fortpflanzen zu können. Das Wasser, das sie uns gibt, ist die Muttermilch, die die Mutter eines jeden von uns ist, deshalb müssen wir uns um die Flüsse, die Berge, die Vegetation und die Fauna kümmern und sie schützen, ebenso wie alle Wesen, die auf der Erde leben. Es wird auch gesagt, dass die vier Dörfer der Sierra Nevada de Santa Marta wie die vier Beine eines Tisches sind. Ein Tisch, an dem die Welt steht und sie über das Gleichgewicht wachen müssen. Das Gleichgewicht wird durch Rituale oder Dankbarkeitszahlungen aufrechterhalten. Das Ritual war ein Dankeschön an die Natur für alles, was sie uns gegeben hat (für das Leben, die Luft, das Wasser, die Tiere usw.), außerdem wurde die Zahlung (das Ritual) so geleistet, dass die Natur uns in diesem Gebiet anerkennt und wir keine Probleme während unseres Aufenthalts haben werden“(Arhuaco de Donachuí – Sierra Nevada de Santa Marta).

Zum Weiterlesen:
Schlegelberger, B. (2016): Los Arhuacos en defensa de su Identidad y Autonomíaresistencia y sincretismo. Berlin: CEJAS
Website Survival

Bewohner*innen der Region

Schon lange gibt es in diesem Gebiet die Tradition, dass sich Bauern ansiedeln und die Natur mit ihren Gegebenheiten für sich nutzen. Sie besiedelten die angrenzenden Gegenden des Parks und auch die Schutzgebiete. Die meisten von ihnen kamen aus Tolima, Boyacá und Cundinamarca, aber auch einige aus dem Hauptstadtdistrikt. Insgesamt befinden sichfünf Gemeinden im Departement Cundinamarca, sechs im Departement Meta, eine Gemeinde im Departement Huila (Kolumbien) und zwei Ortschaften im Hauptstadtdistrikts (Locality 5 of Usme und Locality 20 of Sumapaz) (vgl. Sumapaz Website). Wenn alle Einwohner*innen der Region zusammengezählt werden, sind es ungefähr 200.000 Menschen, welche auf die Wasserversorgung des Parks angewiesen sind (Observatorio De Conflictos Ambientales 2017).

Abb. 6: Gemeinden in Sumapaz

Ein in diesem Zusammenhang auftretendes Problem ist die stetig wachsende Besiedelung des Gebiets. Die erst vor kurzem hergezogenen Siedler befinden sich vor allem in den Gebieten, die an den Park angrenzen oder unter dessen Einfluss stehen. Sie kommen unter anderem aus Eje Cafetero, Santanderes, Valle del Cauca, Cundinamarca, Boyacá und Antioquia. Niedergelassen haben sie sich in einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben, welche intensive landwirtschaftliche Produktionen wie Ackerbau und Viehzucht betreiben. Diese „neuen“ Bewohner*innen produzieren ihre Waren für den Massenkonsum in der Stadt, während die traditionellen Bewohner im Inneren der Sumapazregion zum Selbstkonsum oder zum Tausch mit ihren Nachbarn produzieren (vgl. Sumapaz Website ). Durch die Gewinnorientierung breiten sich die neuen Betriebe immer weiter aus und nehmen den Kleinbauern*innen das Land. So kommt es zum Beispiel zur Kultivierung von neuen Kartoffelsorten, welche auch in höheren Regionen wachsen können. Dies führt auf lange Sicht zu einer weiteren Verdrängung der Páramovegetation (vgl. Franke & Zimmermann2012: 221). Aufgrund der guten Verkehrsanbindung an Bogotá hat in den letzten Jahren hat der Kartoffelanbau um 30% zugenommen (Observatorio de Conflictos Ambientals 2017). Ebenso trägt die Ausweitung der Viehzucht zu Schäden in der Vegetation und Veränderungen im Boden bei. Diese wird im Tal intensiv und an den Berghängen extensiv betrieben. Durch Rodung der Bäume zur Platzgewinnung werden die Berghänge zunehmend instabil und es kann zu Bergrutschen kommen (vgl. Franke& Zimmermann 2012: 221).

Campesinas in der Zona de Reserva Campesina Sumapaz- La Unión

Am Ende unserer vielstündigen Reise durch den Páramo kamen wir im kleinen Ort La Unión an. Die Bewohner*innen hießen uns willkommen und nach kurzer Zeit fanden wir uns mit einigen von ihnen auf der Straße vor unserer Unterkunft zusammen, darunter der Präsident des Dorfes Edwin Susa sowie seine Frau Mayerli Romero. Sie berichteten uns über ihr Leben in Sumapaz, über die Geschichte des Ortes und über das Ökosystem des Páramo. Insbesondere ihre Einstellung zum Páramo-Tourismus legten sie uns dar. Dabei sprachen sie sich gegen Massentourismus aus, der größtenteils von Bogotá aus organisiert wird. Zum einen schaden die vielen Menschen der Vegetation des Ökosystems, z.B. durch Wanderungen. Zum anderen sind sie der Meinung, dass die Geldeinnahmen den hiesigen Gemeinden zustehen und nicht der Tourismusbranche. Sie wünschen sich einen sanften Tourismus, bei dem die Einheimischen die Besucher*innen herumführen, die Nutzung des Gebietes vorgeben und an den Einnahmen partizipieren. Die Bewohner*innen fühlen sich laut eigener Aussage mit dem Land, auf dem sie leben, verbunden. Sie versuchen, den Páramo sowie die Lagunen zu schützen, beispielsweise vor einem geplanten Wasserkraftwerk und Bergbauvorhaben in der Region.

1)Bemalte Häuserwand in La Unión
Abb. 7: Bemalte Häuserwand in La Unión (Eigene Aufnahme)

Die verstärkte ökonomische Nutzung des Gebietes in Form von Energieerzeugung, Bergbau und Tourismus sei erst nach dem Friedensvertrag 2016 vom Staat angestrebt worden. Der Tourismus sei zudem ein ein völlig neues Phänomen in der Region. Des Weiteren scheint der örtliche Kaffeeanbau eine wichtige Einnahmequelle zu sein, jedoch kam es aufgrund der anhaltenden Konflikte zwischen den Pächtern und den (Groß-) Grundbesitzer*innen immer wieder zu Vertreibungen, zu Schwankungen der Einnahmen und einer Abwanderung der Kaffeebetriebe in niedrigere Höhen.  Im Laufe der Berichte von Edwin Susa und Mayerli Romero sprachen beide davon, dass sie stolz darauf seien, Campesinos zu sein. Theodor Rathgeber spricht bei Campesino von einem Sammelbegriff für „vielerlei Erscheinungen und unterschiedliche Interessen“ in Kolumbien (Rathgeber 1994; 1). Das für ihn dabei einende Element sei die „vom Landzugang abhängige Stellung in der Gesellschaft“ (ebd.).

Campesinos

Im Folgenden soll es um die Gruppe der Campesinos und insbesondere um ihre Herausforderungen gehen, damit die Bewohner*innen von La Unión, ihre Aussagen und auch andere Personen, die wir auf unserer Exkursion trafen, für uns zugänglicher werden. Die Umschreibung der Campesinos von Rathgeber gibt einen ersten groben Rahmen, weist aber gleichzeitig auf die großen Unterschiede innerhalb der Gruppe hin. Auffällig ist, dass sowohl die Aussagen der Bewohner*innen als auch die gesichtete Literatur schnell auf die Herausforderungen und Konflikte eingehen, mit denen sich die Campesinos in Kolumbien seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, konfrontiert sehen. Dies scheint ein weiterer einender Aspekt dieser heterogenen Gruppe zu sein.

2) Unterkunft (linkes Gebäude) und Straße, auf der wir mit den Bewohner*innen gesprochen haben
Abb. 8: Unterkunft (linkes Gebäude) und Straße, auf der wir mit den Bewohner*innen gesprochen haben (Eigene Aufnahme)

So ist eine wesentliche Problematik die Vertreibung der meist ländlichen Bevölkerung durch drohende oder erlebte Gewalt. Sie flüchten dabei meist in die Großstädte, wo sie sich in „Elendsviertel[n]“ niederlassen müssen (Louis 2018: 62). Kolumbien ist das Land mit den meisten Binnenvertriebenen (Internal Displaced Person) weltweit. Waren es 2016, im Jahr der Unterzeichnung des Friedensvertrages mit der FARC, noch 7,1 Mio. Menschen (UNHCR 2016: 20), die als binnenvertrieben gelten, so stieg die Zahl bis Mitte 2018 auf 7,7 Mio. Menschen (ebd.). Die Zahl umfasst jedoch nur diejenigen Personen, die seit Mitte der 1980er Jahre vertrieben wurden. Weiter zurückliegende Vertreibungen finden dabei keinen Eingang in die Statistik, was die tatsächliche Anzahl der Vertriebenen ansteigen lassen würde (Louis 2018: 62). Diese Vertreibungen seien eine gezielte Kriegsstrategie der Konfliktparteien seit Ende der 1940er Jahre (Bello 2004: o.S.). Dabei liegen die Ursachen für die Konflikte im Land in den sozialen Spannungen, ausgelöst durch die gesellschaftliche Ungleichheit, die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten großer Teile der Bevölkerung und auch in der ungleichen Verteilung von Land (Louis 2018: 64). Diese ungleiche Landverteilung trifft viele einzelne Gruppen: „Vertriebene Bauern, Landarbeiter ohne Rechte, Saisonarbeiter vor dem Verhungern, Opfer misslungener [sic] Bodenreformen und der Bürgerkriege, Landflüchtige in den Slums der großen Städte, Opfer einer permanenten Rechtsunsicherheit bezüglich des Bodenbesitzes“ (Pössinger 1991: 11) und viele mehr. Pössinger schließt eine Landknappheit für Kolumbien aus, was einen Kampf ums Land ggf. erklären könnte. Für ihn ist eine Bevölkerungsdichte unter 50 Einwohner*innen pro Quadratkilometer das wesentlichste Indiz dafür, dass eine echte Landknappheit nicht vorliege (ebd.). Tatsächlich hat Kolumbien mit einer Bevölkerung von 49,4 Mio. Menschen bei einem Staatsgebiet von 1,138 Mio. Quadratkilometern eine Bevölkerungsdichte von etwa 43,41 Einwohnern pro Quadratkilometer (Stand: März 2019) (Auswärtiges Amt 2019).  Eine Ursache für die Problematik ums Land sind unter anderem die ‚Modernisierungsvorstöße‘ in der Landwirtschaft, bei der z.B. großflächige Zuckerrohrplantagen zugunsten von kleinflächigen Subsistenzwirtschaften betrieben werden sollen, da diese lukrativer sind (Pössinger 1991: 11). Die Großbetriebe/Großgrundbesitzer versuchen dabei, immer mehr Landflächen zu akkumulieren. Oftmals befinden sich die Campesinos im Wettbewerb ums Land in einer von Anfang an benachteiligten Lage. Einer der Gründe liegt in der oftmals unklaren Rechtslage, da die Campesinos zum Teil keine Landtitel vorweisen können, beispielsweise, wenn sie das Land, auf dem sie leben und das sie bearbeiten, seit Generationen unterhalten, ohne aber den offiziellen Landtitel erhalten zu haben. Es fehlt ihnen dann zur Umsetzung ihrer Interessen oftmals der nötige Einfluss, die ökonomischen Mittel sowie juristische Kenntnisse. Zudem bedienen sich die Großgrundbesitzer*innen illegaler Mittel, betrügen die Campesinos und nutzen Strategien wie Vertreibungen (Göbels 1991: 112). Wie wichtig die Landfrage ist, zeigt sich unter anderem dadurch, dass sie einen wesentlichen Aspekt im Friedensvertrag mit der FARC darstellt, obwohl mittlerweile fast 80% der Bevölkerung in urbanen Räumen lebt (Fischer/Klengel/Buelvas 2017: 10). „Die gerechte Vergabe von Landtiteln und die Rückgabe geraubten Landes an die campesinos sind entscheidend, damit Kolumbien eine friedlichere Zukunft hat“ (ebd.). Die Migration und Vertreibung vieler Campesinos in die Städte hat für viele zu einem besseren Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen geführt sowie zu einer verbesserten Sicherheitslage. Jedoch wurden mit diesen Prozessen nicht die sozialen Ungleichheiten aufgelöst, beispielsweise in den Bereichen der Einkommens- und Vermögensverteilung, was Ursachen für die Konflikte im Land waren und sind (Hora et al.  2017: 65). Für viele Campesinos, die sich gegen ihre Vertreibung und für ihr Land einsetzen, bleiben die Möglichkeiten begrenzt. „Oft bleiben dann nur Landbesetzung und gemeinsame Verteidigung des besetzten Landes. Und da zeigt sich: Die Not schweißt zusammen, lässt Solidarität, Phantasie und Organisationskraft in der gemeinsamen Sache wachsen, die gegen Beziehungen, Geld und Intrigen der Gegenseite erfolgreich ins Feld geführt werden können“ (Göbels 1991: 112). Eben diese Form des Widerstandes fanden wir unter anderem in der Minga in Cauca, angeführt von indigenen Gruppen wie den Nasa. Auch die Familien von La Unión befinden sich im Widerstand. Sie setzen sich für den Erhalt ihres Landes und des Ökosystems Páramo ein. Edwin Susa berichtete uns, dass es in ihrem Ort ebenfalls zu Verdrängungen kam, etwa nach Bogotá. Die Pachtverhältnisse der Kaffeeplantagen mussten in den 1970er/80er Jahren zum Teil abgegeben werden, da es zu Konflikten mit den Landbesitzern kam. An diesem Abend haben wir in einem kleinen Ausschnitt die landesweiten Konflikte ums Land in La Unión wiedergefunden, in einem winzigen Ort mit 100 Einwohner*innen ‚mitten im Nirgendwo‘. Ich selbst begreife erst jetzt, viele Wochen später, wie allgegenwärtig die Konflikte ums Land sind und wie viel Kraft es kostet, sich gegen die Widerstände in Form von Großgrundbesitzer*innen oder staatlichen Institutionen/Einheiten anhaltend zur Wehr zu setzen. Wir sind gespannt, was wir im Laufe der nächsten Tage noch erfahren werden und wie diese Erkenntnisse sich mit den Aussagen aus La Unión zu einem Gesamtbild zusammenfügen wird.

3) Rechtsseitiger Blick auf La Unión von der Unterkunft aus
Abb. 9: Rechtsseitiger Blick auf La Unión von der Unterkunft aus (Eigene Aufnahme)

Bedrohung des Parkes

Da der Park als wichtiger Wasserproduzent gilt, wurde er zu einem strategischen Punkt im Konflikt um Trinkwasser. Zu Beginn der 1930er Jahre wurden ein Staudamm und ein Wasserkraftwerk gebaut, um den Süden von Bogotá zu versorgen. Als die Gemeinde Usme mit in das Stadtgebiet von Bogotá eingemeindet wurde, wurde der Páramo als zusätzliche Wasserquelle erkannt und auch die Chisacá Lagune mit in die Wasserversorgung einbezogen. Hierfür wurde erneut ein Staudamm gebaut. Die Versorgung von Trinkwasser für die Stadt Bogotá ist jedoch gescheitert, da das Wasser nur für weniger als 10% der Bevölkerung im Süden der Stadt ausreicht. Der Wasserstand in der Lagune ist, zum Zeitpunkt unseres Besuchs, so niedrig wie noch nie, da das Wasser in die weiter unten liegenden Wasserwerke gepumpt wird. Dieser Zustand bereitet den Bewohner*innen im Sumpapaz große Sorgen (Mitschrift).

Abb. 10: Wasserstand 2019 (Eigene Aufnahme)
Abb. 11: Wasserstand 2016

 Ein neu entstandenes Problem im Nationalpark ist der aufkommende Tourismus. Zunehmend kommen mehr Menschen in die Region, obwohl diese nicht dafür ausgebaut ist. Es gibt keine befestigten Wege, viel Müll landet abseits der Straßen und es werden Pflanzen gepflückt oder niedergetreten. Die fehlende Organisation führt zu neu aufkommenden Konflikten mit den Kleinbäuer*innen aus der Gegend. Außerdem ist das Gebiet reich an Bodenschätzen, sodass auch der Bergbau eine Bedrohung für den Sumapaz werden kann (vgl. SUHNER, S. 2017 Amerika21). Auch große Ölvorkommen sorgen seit einigen Jahren dafür, dass es immer wieder Pläne für Abbaumaßnahmen gibt. Der Abbau von Quarzsand sorgt bereits heute für Verunreinigungen im Trinkwasser (Observatorio de Conflictos Ambientales 2017).

Zum Weiterlesen:
El Sumapaz sufre por el Turismo desforado 2017
Observatorio de conflictos ambientales (2017): Tomémonos en serio al Sumapaz- Nehen wir den Sumapaz ernst?
Weber, H. (2016): Umweltschützer fordern von Weltbank stopp der Finanzierung von Goldmine in Kolumbien.

SINAP

Um etwas gegen die oben genannten Bedrohungen zu unternehmen, wird der Park durch die Organisation SINAP (Sistema Nacional de Áreas Protegidas)geschützt. Diese wurde 1994 nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Konvention der biologischen Vielfalt gegründet. Sie ist dem Umweltministerium untergeordnet und schützt 12% der Gesamtfläche des Landes (vgl. Franke & Zimmermann 2012: 119). Die Funktion der Nationalparks im Zusammenhang mit SINAP ist die Verwaltung der Schutzgebiete in verschiedenen Kategorien. Insgesamt gibt es sechs verschiedene Arten des Naturschutzes in Kolumbien. Neben diesen Aufgaben zählt auch die Koordination und Umsetzung von Richtlinien, Plänen, Programmen und Verfahren zu den Aufgaben von SINAP (vgl. Sumapaz Website). Zu ihren wichtigsten Zielen zählen:

  1.  Erhaltung der ökosystemaren Anlagen der im Schutzgebiet vertretenen Feuchtwald- und Lagunenanlagen der Páramo als Beitrag zur Verbindung zwischen dem Moorkomplex der östlichen Gebirgskette und dem Basalwald. Dies geschieht, um die Biodiversität, und die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen zwischen den Anden, dem Orinoquia und dem Amazonasgebiet zu erhalten.
  2. Erhaltung der oberen Becken der Flüsse Sumapaz, Tunjuelo, Cabrera, Blanco, Ariari, Guape und Duda sowie der damit verbundenen Lagunensysteme, die in der NNP als Anbieter von Ökosystemdienstleistungen für den Capital District, Cundinamarca, Tolima, Huila und Meta vorhanden sind.
  3. Bewahren der historischen und kulturellen Landschaften des Sumapaz-Massivs, welche im Schutzgebiet vertreten ist (vgl. Sumapaz Website).
Abb. 12: Schutzgebiete SINAP

Zum Weiterlesen:
Website RUNAP (Registro Único Nacional de Áreas Protegidas): Nationales Register der Schutzgebiete

Die Auswirkungen des Tourismus waren für uns bereits deutlich zu sehen. Wir sind ungefähr 30 Minuten zu Fuß durch den Park gelaufen und haben einiges an Plastikmüll gesammelt. Nachdem wir eine Weile gewandert sind, haben wir die Reise in Richtung La Unión fortgesetzt.

Literaturverzeichnis

Zum Weiterlesen:
Cmara de Comercio de Bogotá (2010): Plan de Competitividad Para la provincia de Sumapas. 
Suhner, S. (2016): Verfassungsgericht in Kolumbien gibt Umweltschutz Vorrang. https://amerika21.de/2016/03/146235/kolumbien-umweltschutz
Suhner, S. (2017): Investoren-Klagen gegen Kolumbien und der Friedensprozess. https://amerika21.de/analyse/167552/investoren-verklagen-kolumbien
Weber, H. (1963) Über die Vegetation der hochandinen Parámos. In: Jahrbuch des Vereins zum Schutze der Alpenpflanzen und –tiere. S. 74-80. https://www.zobodat.at/pdf/Jb-Verein-Schutz-Alpenpfl-Tiere_28_1963_0074-0080.pdf

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Fahrpause. Eigene Aufnahme.
Abb. 2: Karte Sumapaz. Google Maps.

Abb. 3: Frailejones. Eigene Aufnahme.
Abb. 4: Hinweistafel an der Lagune. Eigene Aufnahme.
Abb. 5: Im Kreis kurz nach dem Dankesritual. Eigene Aufnahme.
Abb. 6: Gemeinden im Sumapaz. In: Camara de Comercio de Bogota (2010):  Plan de competitividad para la provincia de Sumapaz (S.11)
Abb. 7: Bemalte Häuserwand in La Union. Eigene Aufnahme.
Abb. 8: Unterkunft (linkes Gebäude) und Straße, auf der wir mit den Bewohner*innen gesprochen haben. Eigene Aufnahme.
Abb. 9: Rechtsseitiger Blick auf La Unión von der Unterkunft aus. Eigene Aufnahme.
Abb. 10: Wasserstand 2019. Eigene Aufnahme.
Abb. 11: Wasserstand 2016. https://es.wikiloc.com/rutas-mountain-bike/plaza-ppal-usme-embalse-la-regadera-embalse-chisaca-lagunas-de-chisaca-pnn-paramo-de-sumapaz-13020088/photo-8022482
Abb.12: Schutzgebiete SINAP http://www.parquesnacionales.gov.co/portal/es/sistema-nacional-de-areas-protegidas-sinap/mapa-sinap/