La Liberacíon de la Madre Tierra
La Liberacíon de la Madre Tierra
Im Zuge unserer Exkursion durften wir die indigene Bewegung Liberación de la Madre Tierra (Befreiung der Mutter Erde) der indigenen Gemeinschaft der Nasa besuchen. Die Bewegung versteht sich als antikapitalistisch und kämpft vor allem gegen die monokulturelle Bewirtschaftung des Landes durch Großkonzerne im Norden des Cauca. Das zentrale Ziel der Bewegung ist die Enteignung der Agrarflächen von den Konzernen, die auf diesen großflächig Zuckerrohrmonokulturen für die Weiterverarbeitung und die Produktion von Agrosprit anbauen (vgl. anonymisierte Liberadora 2019: 18). Der Name der Bewegung sowie deren Grundidee gründet auf der kosmologischen Vorstellung der Erde als Mutter aller Menschen, die es von der profitorientierten Nutzung zu befreien gilt. In einem Interview von Ortíz und Schüller mit einer Aktivistin der Bewegung beschreibt diese die Liberación als Angriff gegen den Kapitalismus und gegen eine Versklavung der Mutter Erde durch die Konzerne (vgl. ebd. 18). Es geht um eine Befreiung des Landes, des Wassers und der Luft, die durch die Agrarwirtschaft mit Pestiziden belastet sind (vgl. ebd. 19). Diese wirke sich nach Angaben der von uns besuchten Befreier*innen nicht nur negativ auf die Natur, sondern auch auf alle Menschen aus. Durch den Protest soll das Gleichgewicht zwischen der Mutter Erde und deren Bewohner*innen wiederhergestellt werden (vgl. ebd.):
„Es bedeutet, die Erde wieder in Harmonie zu bringen mit den Menschen, die von ihr und für sie leben‘‘ (ebd. 18).
Neben der Kosmologie ist die Frage nach Land und Landverteilung zentral. So verfolgt die Bewegung das Ziel einer gerechten Landverteilung für eine gemeinschaftliche Landnutzung (vgl. ebd. 18) und gegen die Monopolstellung der Agrarkonzerne (vgl. ebd. 18).
Auf dem Weg zu unserem Treffpunkt mit den Liberadores und Liberadoras, den Befreier*innen der Mutter Erde, fuhren wir lange Zeit an den endlos wirkenden Zuckerrohrmonoplantagen vorbei. Schließlich erreichten wir unser Ziel: einen Ort der Befreiung. Insgesamt gibt es nach Angaben der Befreier*innen sieben Orte der Befreiung im Cauca und in Kolumbien, an denen die Bewegung ihren Protest gegen die Agrarkonzerne schon durchsetzen konnte. Vor Ort wurden wir von den anwesenden Befreier*innen mit viel Offenheit begrüßt und fühlten uns sehr willkommen. Die Finka, welche wir besuchen durften, bestand aus einem freigelegten Gebiet und erbauten Schutzkonstruktionen aus Bambus und Planen. Unter diesen wurden Hängematten gespannt und es gab Bänke aus Holzbrettern. Wir wurden mit Platano-Fladen und Chicha begrüßt und stellten uns gegenseitig sowie unsere jeweiligen Interessen vor. Anschließend erzählte uns ein Liberador etwas über die Bewegung und deren Ziele. Die konkrete Befreiung der Mutter Erde erfolgt durch das Abschneiden des wachsenden Zuckerrohrs auf den Plantagen und das Anbauen eigener Lebensmittel sowie das Pflanzen neuer Bäume. Ein Ort der Befreiung soll die Befreier*innen zusammenbringen und einen Bildungsort für die Bewegung darstellen. Außerdem sollen die Befreiungsorte gemeinschaftlich genutzt werden und Siedlungen entstehen, in denen Gemeinschaften leben und das Land nutzen können (vgl. ebd. 19). Insgesamt konnten durch die sieben Finkas bereits ungefähr 3.000 ha von Monokulturen befreit werden (vgl. ebd. 19). Der Ort unseres Besuches wurde nach Angaben der von uns besuchten Befreier*innen im Herbst 2015 besetzt und umfasst ein Gebiet von ca. 120 ha.
In Kolumbien sind zunehmend Investitionen transnationaler Unternehmen zu verzeichnen, die auf eine verstärkte Weltmarktöffnung des Landes zurückgehen. Insbesondere unter der Regierung Santos wurden ausländische Investitionen begrüßt, um die wirtschaftliche Entwicklung Kolumbiens voranzutreiben. Im Norden des Cauca vergibt die kolumbianische Regierung somit Landtitel an transnationale Konzerne, die in dem Gebiet großflächig Monokulturen anbauen. Oft werden im Zuge dieses Prozesses allerdings Landrechte der indigenen Bevölkerung vor Ort durch Landenteignungen verletzt und Gemeinschaften verdrängt, weil die Unternehmen ihre wirtschaftlichen Interessen über die der Bewohner*innen und ansässigen Gemeinschaften der NASA stellen (vgl. Summereder 2012: 63ff). Insgesamt besitzen die transnationalen Konzerne nach Angaben der besuchten Liberadores und Liberadoras 380.000 ha Zuckerrohrplantagen im Norden des Cauca. Gleichzeitig leben in dem Gebiet rund 24.000 Menschen der Nasa Gemeinschaft, von denen nach eigenen Angaben nur 50% Zugang zu Land haben.
Eine wichtige Rolle in diesem Kontext und bei der Entstehung der Bewegung spielte auch hier der indigene Aktivist Manuel Quintín Lame Chantre (vgl. Mäusezahl 2019: 13). In den 1970er Jahren begannen erneute Landbesetzungen nach seinem Vorbild durch Nasa Gemeinschaften, die eine Wiederaneignung des Landes anstrebten (vgl. anonymisierte Liberadora 2019: 18). Im Jahr 1991 kam es zum ,,El Nilo-Massaker‘‘, der Ermordung von 20 Befreier*innen, die nach Angaben der von uns besuchten Befreier*innen von der Regierung nach einer Landbesetzung ermordet wurden. Dies habe zu einem Stillstand der Protestbewegungen geführt. 2005 entstand allerding neuer Aufschwung und die Liberación de la Madre Tierra gründete sich als Protest gegen die ökologischen und sozialen Auswirkungen des kapitalistischen Systems und für die Wiederaneignung von Landflächen zugunsten der Nasa-Gemeinschaften und darüber hinaus (vgl. ebd. 18). Die ersten Befreiungen von Finkas im Zuge der Bewegung fanden nach eigenen Angaben zwischen 2013 und 2015 statt. Infolge dieser und dem damit verbundenen staatlichen Widerstand sei es zu vielen Körper- und Menschenrechtsverletzungen gekommen.
Nach den Gesprächen wurde uns die Finka und die umliegende Fläche von den Befreier*innen gezeigt.
Diese erzählten uns vom Widerstand gegen die staatlichen Akteure, die in der Vergangenheit wiederholt versucht hatten, die Finka zu räumen. Hierzu rückte jeweils das polizeiliche Sondereinsatzkommando Escuadrón Móvil Antidisturbios (ESMAD) an, welches für die Kontrolle aufständischer Gruppen und die Wiederherstellung von Ordnung verantwortlich ist. Die Regierung unter Santos versuchte mit verschiedenen Methoden wie Repression und Angriffe auf Orte der Befreiung, den Protest der indigenen Bewegung zu unterbinden (vgl. ebd. 2019: 19). Insgesamt kam es seit dem Beginn der Bewegung zu mehr als 300 Angriffen mit acht Toten und 600 Verletzten (vgl. ebd. 19). Zusätzlich wurden Finkas und Nahrungsmittel zerstört (vgl. ebd. 19). Andere Methoden sind die strafrechtliche Verfolgung der Liberadores und Liberadoras und die öffentliche bzw. mediale Herabsetzung der Nasa-Gemeinschaften (vgl. ebd. 19). In der Vergangenheit wurden der Bewegung Abkommen und Gelder angeboten, um den Protest aufzugeben (vgl. ebd. 19). Nach eigenen Angaben wurden in den letzten 40 Jahren 1200 Abkommen zwischen dem Staat und den indigenen Gruppen Kolumbiens unterzeichnet, die auf Seiten des Staates nicht eingehalten oder umgesetzt wurden. Daher sei das Vertrauen in den Staat gebrochen und es gäbe keinen weiteren Dialog oder Verhandlungen, da der Fehler, mit der Regierung zusammen zu arbeiten, nicht wiederholt werden dürfe.
Die Befreier*innen erzählten uns auch von verschiedenen Aktionen, die neben der geplanten Befreiung weiterer Orte Teil des Protestes sind. Regelmäßig werden beispielsweise politische Workshops angeboten, die sich mit der Geschichte der Bewegung und der Gemeinschaft der Nasa beschäftigen. Auch werden Mingas (s.u.) organisiert, bei denen gemeinschaftlich Zuckerrohr abgeschnitten, Nahrungsmittel angepflanzt und lokale und internationale Treffen der Aktivist*innen organisiert werden (vgl. ebd. 20). So ist im August 2019 ein Treffen aller Befreier*innen geplant, um Möglichkeiten des Austauschens und der Vernetzung zu schaffen. Ziel ist die aktive Dekolonialisierung und das Einreißen von Zäunen, was sich gegen machtvolle Institutionen richten soll. Außerdem werden Workshops zu Themen wie politische Prozesse, subsistenzwirtschaftliche Anbauweisen und Techniken, Kämpfe, Kultur, Musik, Kunst und Medien angeboten. Zwischen dem 25. und 26. Mai 2019 fand außerdem der zweite Marcha de la Comida statt. Dieser ,,Protestmarsch für Nahrung‘‘ (Übersetzung aus dem Interview von Ortíz und Schüller 2019: 20) wurde nach eigenen Angaben selbstverwaltend, ohne Unterstützung von NGOs oder ähnlichen Organisationen, von der Bewegung organisiert und stellte einen Austausch von Mensch zu Mensch ohne eine Intervention des Staates dar. Ziel sei die Verbreitung und Verteilung von Nahrungsmitteln gewesen, welche von der Bewegung in den resugardos selbst angebaut wurden. Hierzu wurden mehrere LKWs beladen und die Nahrungsmittel innerhalb von zwei Tagen in marginalisierten Stadtteilen verschiedener Großstädte wie Medellín, Cali und Bogotá, verteilt. Es wurde außerdem gemeinsam gekocht und gegessen. Finanziert wurde der zweite Marcha de la Comida lediglich über private Spenden und dem Verkauf von Infomaterial. Bei der Liberación de la Madre Tierra und derer Aktionen des Protestes geht es nach eigenen Angaben um den Widerstand gegen das kapitalistische System und um eine Anklage gegen den Staat, den die Bewegung für unverantwortliches Handeln, Raub von Ländereien und für die Zusammenarbeit mit paramilitärischen Gruppen verantwortlich macht. Durch die Bewegung soll etwas Neues jenseits des kapitalistischen Systems entstehen. Die Aktionen sollen Aktivist*innen und verschiedene antikapitalistische Bewegungen vernetzen, da nur gemeinsam eine Befreiung der Mutter Erde stattfinden könne. Daher seien alle Menschen weltweit dazu aufgerufen, sich der Bewegung lokal wie global anzuschließen und die Botschaft des Protestes zu verbreiten, denn jeder Ort könne ein Ort der Befreiung werden und jede*r könne überall Befreier*in der Mutter Erde sein. Solidarisch zeigen kann man sich außerdem durch die Verbreitung und Vorstellung des Kampfes der Indigenen im eigenen Land, durch Vorträge und Workshops oder durch die Teilnahme und Organisation von Demonstrationen, die sich gegen die Repression der kolumbianischen Regierung an der eigenen Bevölkerung richten (vgl. ebd.). Auch finanzielle Spenden können die zukünftigen Treffen und Aktionen der Befreier*innen ermöglichen (vgl. ebd.). Letztendlich sei es allerdings am hilfreichsten, selbst Befreier*in der Mutter Erde und aktiv zu werden, eigene antikapitalistische Kämpfe zu führen und den Protest der Bewegung somit zu unterstützen (vgl. ebd.).
,,Wir werden weiter die Mutter Erde befreien, damit das Leben weiter geht […]. Auf dass sich die Menschen in das Leben verlieben und dass sich in allen Ecken der Welt Menschen aufmachen, Mutter Erde zu befreien!‘‘ (ebd.).
Weitere Informationen zu dem Protest und den Aktionen unter: https://liberaciondelamadretierra.org/ und auf der Facebook-Seite